BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Abschied vom Wetter»
von Helmut Hansen
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1. Einführung

Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hat die «Deutsche Energieagentur» zum Start einer neuen «Energiespar-Kampagne» eine Umfrage gemacht, welche Rolle eigentlich die «Ökologie» in der öffentlichen Diskussion spielt. [1] Vgl. den Artikel «Klima? Prima!» in der Süddeutschen Zeitung vom 30.August 2002, Seite 1. Dabei haben sich insbesondere diejenigen Mitbürger uninteressiert gezeigt, die von ökologischen Problemen eines nahen oder fernen Tages betroffen sein könnten: Jugendliche. Etwa nur ein Viertel der Befragten im Alter von 16–21 Jahren gab an, schon mal etwas über den Begriff «Klimaschutz» gehört zu haben. Wieviel von diesen dann noch eine Ahnung davon hatten, daß Klimafolgen etwas mit ihrem Alltag zu tun haben könnten, oder ein Sparen von Energie einen möglichen Klimawandel beeinflussen könnte, läßt sich kaum erraten. In der vor kurzem erschienenen «Shell-Studie» finden wir übrigens ein ähnliches Bild: Die «Umwelt» ist für Jugendliche kein besonders wichtiges Problem (mehr). Es gibt wichtigeres.

Was mich nun fasziniert, und was mich bewogen hat, dieses kleine Traktätchen zu schreiben, ist folgende Paradoxie: Auf der einen Seite reden nicht nur alle Leute ständig vom Wetter und sind interessiert an der Vorhersage desselben – deswegen gibt es in unserer «Gesellschaft des Spektakels» ja auch kein Nachrichtenformat mehr ohne eine aufgebrezelte Wettershow – , auf der anderen Seite aber interessiert sich kaum jemand dafür, wo das Wetter eigentlich herkommt, wie es entsteht, oder vielleicht – wie es gemacht wird. Das Wetter ist eben einfach da. Außerhalb unseres Einflußbereiches. Jenseits unserer Grenzen. Das Wetter wird als gegeben vorausgesetzt. Und, lieber Leser und liebe Leserin, ist die Parallele zum elektrischen Strom nicht verblüffend: Alle brauchen und verbrauchen Strom, aber kaum jemand interessiert sich dafür, wo der Strom herkommt. Strom kommt eben aus der Steckdose. Und das Wetter aus dem Wetterbericht.

Es gibt aber noch mehr interessante Beobachtungen rund um das Wetter, die mich verleiten, diesem Traktätchen den Titel «Abschied vom Wetter» zu geben, so seltsam das klingen mag. Denn «Abschied vom Wetter? Wie kann das sein?» werden Sie, lieber Leser und liebe Leserin, mehr oder minder entrüstet rufen, um dann noch deutlich nachzulegen: «Abschied vom Wetter? Das ist doch Unsinn. Das geht doch gar nicht. Es gibt nicht kein Wetter. Es gibt keinen einzigen Tag ohne Wetter. Wetter ist immer!» Wirklich? Ganz wirklich? Sind Sie sicher? Na, dann schauen wir uns das mal näher an.


2. Wetter? Wo denn?

Sie haben ja Recht, lieber Leser, liebe Leserin. Natürlich ist immer irgendein Wetter. Klar. Die Frage ist nur, ob das jemanden interessiert, der in einem überdachten Einkaufsparadies oder in einem klimatisierten Automobil aufgewachsen ist. Denn ausgedehnte kulturphysiognomische Beobachtungen in verschiedenen Großstädten des Ruhrgebiets ergaben, daß insbesondere junge Leute fast überhaupt nicht mehr auf den Gedanken kommen, ihre Kleidungsauswahl nach der Wetterlage zu richten. Die 15–35 jährigen tragen schlicht keine dem Wetter angemessene Kleidung mehr, ob Kälte, ob Regen oder Schnee. Sie haben das Wetter ausgeblendet. Sie haben – ganz bildlich – ein Gefühl für die «Temperatur» da draußen verloren. Das ist es. Und das ist faszinierend und weitreichend.

An jugendlichen Menschen läßt sich heute also sehen, wohin die Reise gehen wird. Hier gibt es – je nach «Community» – Bekleidungsvorschriften, die alles mögliche beinhalten, nur nicht denn Blick zum Himmel. So ist es in spezifischen sozialen Räumen völlig angemessen und im Sinne etwa einer «Street Credibility» auch erwünscht, im Sommer sowie innerhalb geschlossener Räume eine authentische Marken-Wollmütze auf dem Kopf zu tragen. Die sich in den einschlägigen Großstadt-Cafés versammelnden ‹Thirtysomethings› tragen – unabhängig vom Wetter, wohlgemerkt – als Standardkleidung einheitlich ein (meist schwarzes) T-Shirt und eine schwarze längere Jacke aus Plastik oder aus Leder, je nach Selbstzuweisung zu einem bestimmten sozialen Genre. Und irgendwelche mitgeführten Schutzvorrichtungen vor Wetterfährnissen aller Art – wie unbilligem Regen – werden wir nicht beobachten können. Regenschirm? Lachhaft.

Wie seltsam, wie vorsintflutlich muß es da auf ein wetterunabhängiges heterosexuelles Paar wirken, wenn es mit den oben beschriebenen schwarzen Jacken unbeeindruckt durch einen Regen zieht und nun einer vielleicht 75-jährigen Frau begegnet, die eine feste, steife durchsichtige Plastikhaube auf dem Kopfe trägt, nur um schlicht nicht naß zu werden. Mein Gott! Wie das aussieht! Wie fremd, wie ungeläufig, wie exotisch! Und direkt neben dieser Frau aus einem anderen Jahrhundert stehen nun unsere jugendliche Menschen in angesagten Klamotten – und werden wirklich naß. Die Frage ist: Spüren sie das? [2] Eine gute Frage, die an Henriette Orheims Essay über den «Abschied vom Schmecken» erinnert. Oder ist es ihnen einfach nur völlig egal, ob sie naß werden oder nicht? Ist es uncool, sich um das Wetter zu kümmern? Gibt es wichtigeres? Abschied vom Wetter? Könnte sein.

Gehen wir noch zu anderen Bereichen erfundener Wetterunabhängigkeit und konfrontieren die Wetterlosen mal mit richtigem Wetter. Wo? Na, zum Beispiel beim

  • Wandern in den Bergen (1): Hier gibt es bei jungen Leuten, die in den Bergen herumturnen, schon mal Unfälle und Ausfälle, weil sie sich nicht vorstellen können, daß die jeweilige Wetterlage eben nicht egal ist. Meine liebe Freundin Henriette ist mal im Spätsommer in Norwegen auf einer längeren Wanderung am Sognefjord und in der Nähe der Raudmele an ein sehr großes und bereits graues und aufgeweichtes Schneefeld gekommen, welches ein Tal und eine sehr unübersichtliche Kluft überspannte, aus der ein schäumender Wasserstrom schoß. Sie entschied sich, einen anderen Weg zu wählen und machte sich gerade auf ins Tal, als just fünf junge Deutsche in Badehosen und Turnschuhen hinter ihr auftauchten und auf das Schneefeld zusteuerten. Ihre Warnungen blieben gänzlich nutzlos. Sie hat sie nie wieder gesehen.
  • Wandern in den Bergen (2): Ein mittelalter Vater ging mit seinem jugendlichen Sohn wandern, in den Alpen. Leider gab es sehr plötzlich einen Wetterumschwung, mit starkem Schneefall. Als die beiden am nächsten Tag erfroren aufgefunden wurden, hatten beide ihre Anoraks geöffnet und ihre Kapuzen nicht aufgesetzt. Und das erstaunlichste: Im Rucksack des Vaters waren Mützen, Schals und Handschuhe. Unbenutzt. Die beiden Wanderer hatten das bißchen Schnee offensichtlich nicht ernst genommen. Sie hatten das Wetter als «Herausforderung» nicht angenommen. Sie hatten kein Wissen vom Wetter. Sie sahen am Himmel keine Zeichen.
  • Wandern in den Bergen (3): Natürlich gibt es auch Länder in Europa, in denen zwischen den Bewohnern und ihrer Umwelt noch eine äußerst starke Beziehung ist. Da haben Wanderer zu bestimmten Jahreszeiten und auf bestimmten Wegen einen «Windsack» dabei, falls es zu unvorherzusehenden Wetterlagen oder gar zu Unfällen – wie einem verknacksten Fuß – kommen sollte. Was ein «Windsack» ist, lieber Leser, liebe Leserin? Tja, sehen Sie. Da müssen Sie schon Henriette Orheim fragen. Ich weiß das auch nicht.
  • Schneefall im Winter: Regelmäßig kommt es auf bestimmten Autobahnen zu Gigastaus, nur weil ein wenig Schnee fällt. Erstaunlich ist, daß dann viele Autofahrer mit Decken versorgt werden müssen. Denn wenn der Tank ihrer Autos leer ist, der Motor nicht mehr läuft und die Heizung nicht mehr funktioniert, würden sie schlicht erfrieren. Und das darf ja nicht sein. Da muß sich die Regierung sofort drum kümmern. Sie meinen, lieber Leser und liebe Leserin, ob man da nicht auch mal selbst ein wenig Vorsorge betreiben und sich warme Sachen ins Auto legen könnte? Machen Sie das denn? Eben. Abschied vom Wetter? Könnte sein.

  • Das ist die eine Seite, sich nicht um das aktuelle Wetter zu kümmern, sondern immer wieder eben mal kurz aus dem Auto auszusteigen und «die paar Schritte zu Fuß zu gehen». Die andere Seite wird von der Frage aufgespannt, ob diejenigen, die sich nicht um das aktuelle Wetter kümmern, sich dafür interessieren, wie sich das Klima, das schließlich ihr aktuelles Wetter hervorbringt, in ihrem Land entwickelt und wie es zu «schützen» wäre:

  • Selbstverständlich darf jeder, der sich ein Eigenheim leisten kann, auch die Garagenauffahrt mit Betonsteinen versehen. Versiegelung? Das bißchen?
  • Selbstverständlich dürfen Leute, die ein paar alte Zechenhäuser mit schönen Gärten gekauft haben, eben diese Gärten entfernen, dort Garagen hinstellen und den Rest mit Betonsteinen pflastern. Farbig. Versiegelung? Das bißchen?

  • Das bringt uns zum nächsten Punkt. Dem Reden über das Klima.


    3. Zur sozialen Konstruktion des Wetters

    Sie haben ja immer noch Recht, lieber Leser, liebe Leserin. Natürlich ist immer irgendein Wetter. Klar. Die Frage ist nur, wie über das Wetter gesprochen wird. Denn ein Wetter ohne die sprachliche Aufbereitung in definierten sozialen Räumen, ist kein Wetter. Nicht wirklich. Wichtig ist also nicht das Wetter selbst (und seine Auswirkungen), sondern welche Meinungen dazu von den Meinungsführern und Meinungsbildern sozialer Räume konstruiert werden. Wichtig ist nicht, was wirklich – wettermäßig jetzt gesehen – geschieht, sondern wie über die Ursachen dieses Wetters gesprochen wird. Es geht um Meinungskonfektion. Um Meinungen von der Stange. Alles klar?

    Wenn wir also nicht wissen, was die Auswirkungen von Wetterereignissen wie Überschwemmungen, Seuchen, Mißernten oder anderen wetterbedingten Katastrophen bedeuten, helfen uns die «spektaklistischen Medien», indem sie diese Ereignisse interpretieren, mit Sinn versehen, verpacken – und dann ablegen. Und die Medien werden uns schon nicht die Laune verderben, oder?

    In den staatstragenden konservativen Medien erscheint so nach irgendeiner Wetterkatastrophe sofort ein «unabhängiger» Professor für Meteorologie und erklärt, daß eben diese Wetterkatastrophe ein Einzelfall sei und insbesondere nichts mit von Menschen erzeugten Klimaveränderungen in der Luft – oder gar mit einer globalen Erwärmung der Erde – zu tun habe, denn es sei im Jahre 1759 in eben diesem Gebiet auch schon einmal ein eben solches Unwetter mit noch großen Überschwemmungen registriert worden. Nichts besonderes also. Selbstverständlich brauchen wir dringend weitere «Ausbaumaßnahmen» und «Staustufen» an unseren idyllisch eingedeichten Flüssen. Und die vom Spektakel herumgewirbelten Zuschauer und Zuhörer haben es längst aufgegeben, sich eigene Gedanken zu machen. Wozu auch?

    In den eher linksliberalen und nicht staatstragenden Medien wird in Fällen außergewöhnlicher Wetterlagen gerne und regelmäßig darauf verwiesen, daß zum einen die Versiegelung von Flächen und die Begradigung und Aufstauung von Flüssen vorhersehbare Überflutungen mit sich bringe, und daß zum anderen der maßlose Verbrauch fossiler Energien zu «klimaschädigenden Treibhausgasen» führe und es dadurch bereits heute zu einem «Klimawandel» und einer ständig zunehmenden Erwärmung der Erde gekommen sei, die sich etwa an den hurtigen Rückzügen ehemals riesiger Gletscher ablesen lasse. [3] Vgl. dazu auch das Kapitel 2.1 («Umwelt») in unserem «Arbeitspapier Nr. 3 mit dem schönen Titel «Bemerkungen zum technologischen Funktionsbegriff»). Und in dieser Tonlage wird – wenn über Möglichkeiten zur Beeinflussung des Klimas gesprochen wird – auch ständig darauf verwiesen, daß das Klima am besten mit einem Tanker verglichen werden könne, der erst in vielleicht 30 Jahren zum Halten kommen würde, falls wir ihn jetzt zu stoppen versuchten.

    Und was stimmt nun? Was ist nun mit dem Klima? Was wird sein? Eine äußerst unkonstruktivistische Frage, die sich nur Nicht-Konstruktivistinnen stellen. Wir schlagen vor, daß das doch jeder selbst entscheiden muß, was aus dem Klima wird. Wie, das ärgert Sie jetzt, lieber Leser und liebe Leserin? Ok, dann nehmen wir das zurück. Nur eins dürfte klar sein, daß die jeweilige Regierung unseres Landes sich bei der Beurteilung dieser Frage in unsere «Meinungsbildung» einmischen wird. Sie wird uns «diesbezüglich» nicht im Stich lassen. Ist das klar?

    Aber natürlich mischen sich auch andere Menschen in den Diskurs über mögliche Klimaveränderungen ein. Und die Meinungen, die sie dazu äußern, können eine große Rolle spielen, ja können geradezu stilbildend auf Jugendliche wirken, wenn es sich bei diesen Meinungsführer um – na ja, sagen wir mal, um Popstars handelt. Xavier Naidoo soll zur Zeit ein Popstar sein. Er gilt als «gläubig», greift auf alttestamentarische Sprachfiguren zurück, hat Mannheim zur auserwählten Stadt Zion erklärt, und er besitzt fünfzig (50) Kraftfahrzeuge. Also kann er den Jugendlichen in diesem unseren Lande aus eigener Erfahrung erklären, wie das mit dem Klima ist. Xavier Naidoo, der Popstar, sagt: «Die Autoabgase verschwinden einfach durch das Ozonloch im All.» Wie er darauf kommt? Na, da fragen wir ihn doch einfach selbst:

    «Ich tue mich sehr schwer, den Wissenschaften blind zu vertrauen. Ich habe gemerkt, daß da sehr schnell Fehler unterlaufen können. Man nehme nur mal die Kleinigkeit mit dem Spinat: Weil irgendwer ein Komma falsch gesetzt hat, dachte man, er wäre eisenhaltiger als anderes Gemüse. Ich habe keine Lust, mir von irgendwelchen Leuten einreden zu lassen, das Ozonloch sei gefährlich. Ich will nicht ständig in Angst leben müssen.»

    Tja, soweit sind wir nun gekommen. Und der Tonfall ist so perfekt postmodern. Da hat jemand keine Lust, an etwas zu glauben. Punkt. Aber, Sie haben es längst gemerkt, lieber Leser und liebe Leserin, es fehlt noch eine ganz wichtige Ur-Floskel der Postmoderne. Aber da ist sie schon, geschwind, geschwind: «So habe ich mein Ding gefunden. Ich will aber auch niemanden dazu zwingen, meine Ansicht zu teilen.» [4] Zitiert nach der Süddeutschen Zeitung vom 7./8. September 2002, Seite 52. Danke, genau das fehlte uns noch.

    Nun, lieber Leser und liebe Leserin, lesen Sie diese Passagen ruhig zweimal, gründlich und langsam, und dann sagen Sie etwas zum geistigen Niveau dieser Lebensäußerung? Gibt es noch Hoffnung? Und: Ist Xavier Naidoo nicht das Vorbild für die Jugendlichen dieses unseres Landes, klimamäßig jetzt gesehen? Abschied vom Wetter? Aber hallo!


    4. Abschied vom Wetter

    Da sind also «Individuen», da sind also Personensysteme, da sind also Schnittstellen in sozialen Räumen. Und diese «Individuen», diese Personensysteme wurden und werden von ihren spezifischen sozialen Räumen mit eben den «Stimmen», den sozialen Geräuschen bevölkert, die ihnen nun im Kopf herum summen. [5] Passend hierzu bietet sich eine Lektüre der Essays «Persönlichkeitspsychologie», «Personen als Systeme» und «Personen als Texte» im «Bochumer Bericht Nr. 5»an. Und selbstredend sind sich diese Schnittstellen in sozialen Räumen in ihren jeweiligen Meinungen – hier zum Beispiel über das, was angesichts verschiedener Wetterlagen zu tun sei, nämlich nichts – erstaunlich einig. [6] Hierzu könnten Sie, lieber Leser und liebe Leserin, mal die fünf Skizzen zu einer «Psychologie des Meinens» lesen. Und am besten beginnen Sie mit dem Essay «Meinen: Eine Annäherung» Na, wie wär's?

    Das Wetter und ich? Das Wetter oder ich? Beides nicht, denn das Wetter kommt und geht, das «Ich» aber ist immer da. Hören wir zu:

    «Klar, das weiß ich, daß das Wetter irgendetwas mit der Umwelt und dem Klima zu tun hat, aber mich persönlich interessiert das nicht. Ich muß mein Ding alleine durchziehen. So bin ich eben. Und ob die Umwelt irgendwie und irgendwo wichtig ist, ist nicht mein Ding, geht mich ehrlich gesagt auch gar nichts an. Und überhaupt Klimaveränderung? Es gibt keine Beweise. Und bis dahin mache ich, was ich für richtig halte. Um das Klima sollen sich doch die kümmern, die sich um das Klima kümmern wollen. Bitte, das muß jeder selbst entscheiden. Ich mache doch auch niemandem irgendwelche Vorschriften.» «So viel ‹Ich›», und so wenig Umwelt? Oder ist die Umwelt nur ein Drive-In-Erlebnispark?

    Es sieht so aus, als gäbe es im Bewußtsein des jugendlichen Großstädters in unserem Land keine Anknüpfungspunkte, keine Affordanzen, keine kognitiven Erschwinglichkeiten mehr dafür, daß es zum einen in der Umwelt Gefahren geben könnte, und daß zum anderen die Umwelt selbst – durch ureigenes Handeln – gefährdet sein könnte. Auf das Auto verzichten? Auf eine Flugreise? Auf irgendeinen Komfort? «Wieso? Warum ich? Das macht doch auch sonst keiner.»

    Ein einzelnes «Ich» pfeift also auf das Klima seiner Umwelt, es spielt keine Rolle mehr, es ist vielleicht mal ein Stück weit lästig, aber es wird nicht beachtet, auch wenn es beachtet werden müßte. Da das «Ich» nichts mehr weiß über das, was «da draußen» sein könnte, erkennt es auch keine Zeichen mehr. «Ich» und Umwelt sind getrennt. Und die Umwelt scheint gebändigt. Zahm. Ohne Zeichen.

    Ist der Abschied vom Wetter die endgültige Unabhängigkeit des sich selbst erzeugenden Systems von äußeren Bedingungen? Was meint jemand, wenn er sagt: «Also ich persönlich kann mit dem ganzen Gerede über das Klima und die Umwelt überhaupt nichts anfangen.» Meint hier ein Personensystem, daß es ohne eine Systemumgebung leben könnte? Dabei definieren die Systemumgebungen doch erst die Möglichkeiten, unter denen ein Personensystem existieren kann.

    Zum Schluß noch eine lustige rhetorische Frage: Würde irgendjemand, dessen Keller mehrmals von einem Hochwasser überflutet wurde, auf den Gedanken kommen, sich für die Entstehung des hochwassergenerierenden Klimas zu interessieren? Oder würde sich eben dieser irgendjemand Gedanken darüber machen, was er – ganz persönlich jetzt – zu diesem Hochwasser beigetragen haben könnte? Oder – noch toller – würde eben dieser irgendjemand als Konsequenz aus den von ihm selbst erlebten Klimakapriolen gar eine «grüne» Partei wählen? Nein, wirklich nicht. Selten so gelacht.



    Erstellt: 6. September 2002 – letzte Überarbeitung: 10. September 2002
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