BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Abschied von den ‹Nachrichten›»
von Henriette Orheim & Helmut Hansen
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Einführung

«Die öffentliche Meinung,
die durch die Presse gemacht wird,
ist die schlimmste Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit
und die illiberalste aller Institutionen.»
(Karl Hauer) [1] In: Die Fackel Nr. 230-231 vom 15. Juli 1907, Seite 12.

Ach ja, die ‹öffentliche Meinung›. Wo kommt sie her? Wo driftet sie hin? Wer darf sie bestimmen? Oder anders gefragt: Woher wissen die Menschen, was sie an einem bestimmten Tag in der unendlichen Zeitweite unseres Universums zu meinen haben? Wer ‹informiert› sie über die Meinungen, die sie dann alsbald nachmeinen? Wie ist es mit dem Wirklichkeitsbezug der Meinungen, über die sie täglich benachrichtigt werden? Und wie kommt es, daß allfällige Kundmachungen nur jeweils eine minimale Halbwertzeit von einem oder zwei Tagen haben, bis sie von der nächsten Eilmeldung verjagt werden? Und sind die öffentlich nahegelegten Meinungen überhaupt meinenswert?

Liebe Leserin, lieber Leser, das sind sehr schöne Fragen, die uns mitten in das Elend der sogenannten ‹Nachrichten› führen. Und wie es der Titel dieses kleinen Traktätchens schon nahelegt, glauben wir, daß wir heute – ganz sorgsam, und gleichsam als Zwischenstatus – den floriden Höhepunkt einer Entwicklung beschreiben können, die schon vor Jahrzehnten begann und die sich im finalen Kapitalismus der Postmoderne nur eben in ihrer Vollblüte zeigt. Und wieder einmal heißt es Abschied zu nehmen. Abschied von den ‹Nachrichten›? Ja. Aber wie kann das sein? Gestern lasen wir doch noch auf dem Titelblatt der größten Schmierlappenzeitung Deutschlands, daß sich «Deutschlands ehrlichste Politikerin» tapfer und in Treue fest gegen irgendwelche ‹Lügilantis› wehre. Ja, ist das denn keine Nachricht? Nein, das ist keine Nachricht, das ist eine Meinung, die bestimmten Interessen dient, eine Meinung, die als Kundmachung, als Veröffentlichung, als Werbung, als Kampagne für eine bestimmte Sache aufgeblasen wird. Sogenannte ‹Nachrichten› dieser Art wird es noch lange – und in nicht so ferner Zeit nur noch – geben. Abschied von den ‹Nachrichten› also? Der Reihe nach. Und von Anfang an.


Es geht um nichts
«Betrachtet man manchmal die Spitzbübereien der Kleinen
und die Räubereien der Großen,
so ist man versucht,
die Gesellschaft für einen Wald voller Diebe zu halten.
Die Häscher, die die Bande im Zaum halten sollen,
sind die gefährlichsten.»
(Nicolas Chamfort) [2] In: Nicolas Chamfort (1987): Ein Wald voller Diebe. Maximen, Charaktere, Anekdoten. Verlegt bei Franz Greno in Nördlingen. Seite 55.

Mittlerweile liegt das erste Jahrzehnt dieses neuen Jahrtausends schon fast hinter uns und es zeigt sich, daß sich die Wandlung von einer Kultur der Moderne zu einer Kultur der Postmoderne immer schneller und vehementer vollzieht. Wir können nicht sagen, daß sich irgendeine ‹Lage› zuspitze, nein, eine bestimmte Entwicklung geht einfach immer weiter.

In unserem genialen Arbeitspapier Nr. 11 haben wir als griffigen Slogan für das Zeitalter der Postmoderne ein ‹Es geht um nichts!› gewählt: «Alles „Höhere“ wie Anspruch, Moral, Sinn, Normen, Grenzen, Werte (z. B. Solidarität), Botschaften, politische Ziele, menschliche Ziele, Berücksichtigung von späteren Folgen etc. interessiert nicht mehr.» [3] Arbeitspapier Nr. 11: «Zur Kulturphysiognomik von Romantik, Moderne und Postmoderne». PDF-Version, Seite 6. Dies zeigt sich in allerlei kulturellen Wendungen und Erschöpfungen, die daher rühren, daß die Postmoderne sich mit dem finalen Kapitalismus und dessen Auswirkungen bis in alle Lebensbereiche hinein abgefunden hat. Oder anders: Die Postmoderne ist wirklich gewordener, intensiv gelebter Final-Kapitalismus.

Das heißt aber auch, der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Lohn-Arbeit ist ein für allemal vergessen, heute benimmt sich jeder wie ein vollendeter Kapitalist, denn fast jedes postmoderne Individuum kümmert sich heute ganz und gar ökonomistisch nur noch um seine eigenen Geschäfte, um seinen Oikos, und nicht um die Pólis. Helmut Hansen hat in seinem Traktat ‹Abschied vom homo politicus› den Weg unserer Kulturinsassen vom einem dem Allgemeinwohl verpflichteten Menschen hin zu egoistischen Betriebswirten schön beschrieben:

«Der Pólisbürger wird also gefeiert, wenn sein Denken und Trachten «ökonomistisch» ausgerichtet ist. Was ist das, ökonomistisches Denken? Nun, ein Hausverwalter, heute nennt man ihn «Betriebswirt», denkt ausschließlich an die Interessen seines Betriebes und verlangt, daß er alle Abfälle, Schadstoffe und Arbeitskräfte, die er nicht mehr brauchen kann, über den Zaun seines Betriebes werfen darf und somit entsorgt: Das heißt, er, der Hausverwalter, der Betriebswirt, der Ökonom, braucht sich keine Sorgen mehr über das von ihm Entsorgte zu machen.»

Wenn nur jeder selbst entscheiden kann, was gut und wichtig für ihn – ganz persönlich – ist, wenn jeder zuallererst seinen eigenen Oikos verteidigt, entsteht eine Haltung, nur noch eine Haltung zu sich selbst zu haben. Das ist dann allerdings keine Haltung mehr, sondern ein ökonomistischer Solipsismus. Wir haben unser Zeitalter der Haltlosigkeit schon treffend beschrieben. Lustig ist, daß genau dieser ökonomistische Solipsismus von den Lehrmeistern des Neoliberalismus als Grundlage einer Prosperität ‹für alle› angesehen wird.

So, und jetzt können wir weiter gehen in unserer Argumentation und Sie, lieber Leser und liebe Leserin, fragen, an welcher Art ‹Nachrichten› denn diese haltlosen, sich kapitalistisch gerierenden, nur ihrem Eigenwohl verpflichteten, an nichts ‹Höherem› – außer an Tiefstpreisen – interessierten Kulturinsassen interessiert sein könnten? Und was bekommen sie als ‹Nachricht› geboten? Nun: Jede Zeit hat die ‹Nachrichten›, die sie verdient. Das schauen wir uns an.


Nachrichten heute: Inhalte
«Nichts ist so gering, daß man nicht darüber reden könnte.»
(Michel de Montaigne)

Einigen wir uns zunächst darauf, was denn ‹Nachrichten› sein sollten. Dazu befragen wir - übrigens zum ersten und letzten Mal in der Geschichte des Skepsis-Reservates – die größte schwarmintelligente Enzyklopädie der Neuzeit:

«Der Begriff Nachrichten ist die Mehrzahl von Nachricht und bezeichnet darüber hinaus eine regelmäßige Sendung in Hörfunk und Fernsehen. Außerdem bezieht er sich auf eine Rubrik in Zeitungen

Nachrichten sind also das, wo ‹Nachrichten› drauf steht. Tja, liebe Leserin, lieber Leser, wie sagte es Karl Kraus: «Am unverständlichsten reden die Leute daher, denen die Sprache zu nichts weiter dient als sich verständlich zu machen.» [4] In: Die Fackel Nr. 264 vom 18.11.1908, Seite 27. Damit ist alles notwendige über diese ‹Definition› gesagt. Das Rührende bei unbeholfenen Formulierungen ist ja, daß man doch immer ahnt, was gemeint ist. Doch weiter.

Seltsamerweise haben wir Kulturinsassen selbst in der Postmoderne immer noch eine Assoziation, einen Geschmack von Objektivität oder Ausgewogenheit, wenn wir das Wort ‹Nachricht› hören. Wir glauben immer noch, daß nun gleich von irgendwo her – aus dem Äther gar – uns Auskunft gegeben werde über den Lauf der Dinge in der großen Welt. Wenn wir uns aber fragen, wo denn die uns täglich ereilenden ‹Nachrichten› in Funk, Fernsehen oder Zeitung herkommen, so ist das hurtigst und schnöde beantwortet, denn diese werden nicht mühsam von unabhängigen und mutigen Journalisten erarbeitet und recherchiert, sondern von Nachrichtenagenturen – in einem endlosen Strom – direkt auf den Bildschirm des ‹Journalisten› geliefert. Und dieser sucht sich dann – entsprechend der ‹Zielgruppe› und des journalistischen Anspruchs seines Medien-Unternehmens – daraus nur noch etwas ‹Passendes› aus. Somit ergibt sich in der Postmoderne, daß nicht nur die größte Schmierlappenzeitung dieses unseres Landes, sondern auch viele andere kleine Schmierlappenzeitungen bis hin zu großen Regionalzeitungen oder Szene-Zeitschriften ‹Nachrichten› liefern, die vom ‹Boulevard› bis zu Gesundheitsfragen alles Unwesentliche abdecken. Nachrichten ohne Nachrichten also. Denn eines läßt sich in diesen Blättern oder TV-Sendungen niemals finden: Das Wesentliche. Das, um was es geht.

Die erste Zeitschrift, die das vollendet einführte und bis heute erfolgreich praktiziert, ist das Nachrichtenmagazin ohne Nachrichten, das sich in seiner Werbung auf ‹Fakten Fakten, Fakten› beruft und immer wieder für die ‹Fakten der Woche› wirbt. Toll. Nur nebenbei: Das Wort ‹Fakt› stammt vom lateinischen ‹factum› ab, und das bedeutet ‹gemacht, getan›. Bei Fakten dieser Art handelt es sich also um etwas ‹journalistisch› Gemachtes, ergo um Meinungen.

Halten wir fest, mit wenigen Ausnahmen – wir denken hier etwa an die großartige ‹Süddeutsche Zeitung› – liefern ‹Nachrichten› Meinungen. Oder Schmutz, oder schmutzige Meinungen. Wessen Meinungen? Nun, wie man das an immer wieder zu beobachtenden Meinungskampagnen, in denen fast alle Zeitungen Arm in Arm für etwas (den Kapitalismus) und gegen etwas (die Linke) sind, sehr gut sehen kann, ist der Meinungsduktus immer gestaltet im Interesse und zum Segen der Herren des Wörterbuchs. [5] Vgl. die Erläuterungen in unserem Arbeitspapier Nr. 14, Seite 52f. Und wozu ist dieses Wörterbuch da, wozu wird es gebraucht? Zur Herstellung der «‹notwendigen Illusion›, die eine triste Wirklichkeit als vernünftig, wohlwollend und notwendig, gar notwendigerweise wünschenswert erscheinen läßt.» [6] In: Chomsky, Noam (1999): Profit over people. Neoliberalism and global order.– New York: SSP.

Wichtig auf diesem ‹Nachrichten-Niveau› ist es, die Konsumenten täglich und immer wieder neu mit ‹Nachrichten› zu aktivieren und zu erregen, deren Dummheit sich selbst ohne geringfügiges Nachdenken sogleich ergibt. Doch steigen wir hier lieber aus, jeder neue Tag des Herrn gibt uns eine Beispielsfülle an sinnlosen, falschen und überflüssigen ‹Nachrichten›. Schweigen wir und machen wir uns zitternd mit dem Gedanken vertraut, daß zur Zeit ‹Nachrichten› eben keine Nachrichten sind.


Nachrichten heute: Eingebetteter Journalismus

«Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben
und haben etwas zu sagen, weil sie schreiben.»
(Karl Kraus) [7] In: Die Fackel Nr. 300, vom 9.4.1910. Seite 20.

Wir müssen noch einen zweiten Punkt behandeln, wenn wir uns fragen, warum ‹Nachrichten› in der Postmoderne so sind, wie sie sind. Tatsächlich sind fast alle Journalisten heute eingebettet, eingebettet in was? Nun, in den finalen Kapitalismus. Sie müssen täglich schreiben, daß ‹im Einzelfall› jetzt eine Entlassung, eine Preiserhöhung, eine Schlechterstellung, eine Lohnsenkung, eine Verarmung zwar nicht so leicht zu verkraften sei, daß man aber im Großen und Ganzen doch sehen müsse, daß diese Entwicklung gut für uns alle sei. Dieser Duktus ist in fast jedem Medium völlig gleich. Die Hauptaufgabe von postmodernen Journalisten ist es, der immer größer werdenden Zahl von armen Kulturinsassen zu erklären, daß alles in Ordnung sei, wenn die Arbeitnehmer in Deutschland sich an fernöstlichen Löhnen zu orientieren hätten und die Manager an amerikanischen Gehältern. Denn die postmodernen Journalisten haben sich dem finalen Kapitalismus verschrieben und müssen – eingebettet in seine Lehren – diesen unter allen Umständen vertreten, verteidigen und angebliche Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen entschuldigen. Das ist die eine Seite.

Journalisten liegen aber auch noch in einem anderen Bett, und das wird von politischen Parteien gemacht. Am deutlichsten wurde dies, als die größte Regionalzeitung des Ruhrgebiets einen neuen Chefredakteur bekam, der sich schon beim Nachrichtenmagazin ohne Nachrichten und bei der größten deutschen Schmierlappenzeitung Verdienste erwarb: Von Stund an rutschte die Redaktion dieser Zeitung nach rechts an die Wand und wurde ein Verlautbarungsorgan einer christlichen Landesregierung. Das geht.

Denn heute werden ‹Nachrichten› einfach aus den Staatskanzleien der jeweiligen Bundesländer an die Nachrichtenagenturen geschickt, diese leiten sie an die Redaktionen weiter und dann wird schließlich genau das vorgelesen oder gedruckt, was der jeweilige Werbefuzzi und ‹Spin-Doctor› eines Ministerpräsidenten gerne als Nachricht verkauft haben möchte. Ohne Kommentar, ohne eine Hinterfragung, ganz ohne Zweifel. Am deutlichsten wird das in Nordrhein-Westfalen, wo die oben erwähnte Regionalzeitung seit einiger Zeit Fotos eines sich als Denker und Handler gebenden christlichen Ministerpräsidenten veröffentlicht, zusammen mit den jeweiligen Ankündigungen seines segensreichen Wirkens. Selbstredend ist die Kluft zwischen Gesagtem und Getanem in jedem einzelnen Fall immens. Aber genau dies ist aus der einzelnen ‹Nachricht› eben nicht zu erschließen. Genau so soll das sein.

Lustig ist es auch, zu sehen, wie eingebettete Journalisten das Fragen verlernt haben. Wenn ein Christ also ausruft, Mindestlöhne seien unsozial, fällt dem in seinem kuscheligen Meinungsbett liegenden Journalisten keine passende Frage dazu ein. Dabei gäbe es doch so viele gute Fragen!


Nachrichten heute: Jeder kann mitmachen

«Der Dilettant wird nie den Gegenstand,
immer nur sein Gefühl über den Gegenstand schildern.»
(Johann Wolfgang Goethe) [8] Zitiert in der Fackel Nr. 313/314 vom 31.10.1910, Seite 36.

Schauen wir kurz zurück: Wir beklagen einen Abschied von den ‹Nachrichten›. Zur Unterstützung dieser These haben wir zunächst die Zeit skizziert, in der wir gerade leben, und deutlich gemacht, daß die Jetztzeit eine schlechte Zeit für wesentliche ‹Nachrichten› ist. Das liegt zum einen daran, daß die Inhalte von ‹Nachrichten› heute boulevardesk sind oder schlicht auf Meinungen beruhen, und zum andern daran, daß allüberall in den Redaktionen und Nachrichtenagenturen eingebettete Journalisten arbeiten, die täglich den unaufhaltsamen Siegeszug des Kapitalismus bejubeln müssen.

Es gibt aber noch einen dritten Grund, warum ‹Nachrichten› heute keine Nachrichten sind, und das liegt in der immer rascher und immer weiter zunehmenden Beteiligung von ‹Menschen wie du und ich› an den Nachrichten. Albertine Devilder hat ein sehr schönes Traktätchen zu diesem Thema geschrieben mit dem Titel ‹Je-ka-mi-Nachrichten›. Heute kann jeder in einer Nachrichtensendung mitmachen, denn wenn ‹Infotainment› zum ‹Menschenfunk› wird, müssen wir die Menschen ihre ‹Nachrichten› selber produzieren lassen. Und genau das geschieht. Es gibt fast keine Sendung mehr, in der nicht der Volksmund zu Worte kommt. Bei jeder beliebigen alltäglichen Allfälligkeit wird der Mann auf der Straße nach seiner Meinung gefragt. Völlig belanglose Meinungsäußerungen werden zu einem bedeutsamen Teil der ‹Nachrichten›. Die Befragten liefern weder Perzeptionen noch Apperzeptionen, sie berichten statt dessen schlicht darüber, welches Gefühl sie bei irgendeinem ‹Ereignis› hatten. Dilettanten also. Aber sie sind so wichtig im Menschenfunk, bei dem im Mittelpunkt ja immer der Mensch steht. Und es ist so schlau und einfach und vor allem so folgenlos, ‹Nachrichten› zu ‹Mitmach-Nachrichten› für Dilettanten werden zu lassen.


Abschied

«Dumme Menschen haben zu allem und jedem eine Meinung;
kluge zu wenigem mehrere.»
(Albertine Devilder)

Oben sagten wir: Jede Zeit hat die ‹Nachrichten›, die sie verdient. Und damit die Politiker, die Medien und die Machtverhältnisse. Tja, so ist das. Aber dennoch, trotzdem: Wie schön wären Nachrichten als eine Unterrichtung, eine Mitteilung, ja gar als eine ‹Information›, die uns klüger machte, die uns bereicherte, die uns, na gut, ‹besser› machte. Wäre das nicht wunderschön? Doch wie lange und aufwendig müssen wir in den Medien herumsuchen, bis wir neben dem ganzen Schmutz irgendeine kleine Oase des ‹Wissens› und Nachdenkens finden, die uns bereichern kann. Wie ermüdend ist es, in den Medien Meinungen zu hören oder zu lesen, die uns in ihrer Einhelligkeit behelligen! Wie oft müssen wir Dilettanten ertragen, die irgendetwas radebrechen über irgendetwas, von dem sie nichts wissen, verstehen oder ahnen! Wie ungeistig ist es, immer wieder Werbeansagen und -sendungen für Politiker und Parteien ertragen zu müssen! Dabei geht es doch nur um die Frage, wann ist eine ‹Nachricht› eine Nachricht? Wann erfahren wir etwas, das eine Unterscheidung trifft, die für uns einen wesentlichen Unterschied macht? Müssen wir uns denn alles Wesentliche selbst zusammensuchen, es selbst finden und selbst durchdenken? Ja. Von den ‹Nachrichtenformaten› der Postmoderne haben wir nichts mehr zu erwarten. Wir können abschalten.

Wie kommen wir aus diesem Traktat vom ‹Abschied von den Nachrichten› wieder heraus? Ach, wie so oft, mit Aphorismen unserer Leitsterne, die uns trösten, stützen, und die Kraft geben, dem täglichen Nachrichten-Gedudel mutig die Stirn zu bieten. Machen wir unsere eigenen Nachrichten! Entscheiden wir selbst, was wichtig für uns ist und was wir über die Welt glauben und erfahren wollen! Werden wir endlich ‹postmodern›! Willkommen bei den ‹happy few›!

Unser tröstender Leitstern heute ist Maurice Maeterlinck, der uns über die Mode der Mitmach-Nachrichten, den eingebetteten Journalismus und die dürftigen und unwesentlichen Inhalte allfälliger ‹Nachrichten› weit hinausführt und uns die Möglichkeit gibt, etwas Wesentliches zu denken:
«Der Schlüssel zu allem Unglück der Völker ist ihre Dummheit. Alle politischen oder wirtschaftlichen Erklärungen sind nur literarischer Aufputz für diese tiefe Dummheit, die fast unheilbar ist und sich seit den geschichtlichen Zeiten nicht wesentlich gebessert hat.» [9] In: Maurice Maeterlinck (1935): Vor dem großen Schweigen. Berlin: S. Fischer Verlag. Seite 17.
Maurice Maeterlinck hat auch eine Idee, wer diese allgewaltige Dummheit – auch mit Hilfe der täglichen ‹Nachrichten› aufrechterhält:
«Die Menschheit wird einen großen Fortschritt gemacht haben, wenn sie die Politiker abschafft. Da das aber zweifellos durch andere Politiker besorgt würde, hätte sie dabei schließlich nichts gewonnen, und alles finge wieder von vorn an wie überall.» [10] In: Maurice Maeterlinck (1936): Die Sanduhr. Berlin: S. Fischer Verlag. Seite 65.
So weit, so klar. Aber wem überlassen wir dieses Mal das letzte, das befreiende Schlußwort? Karl Kraus? Michel de Montaigne? Emile Michel Cioran? Ha! Knapp daneben ist auch vorbei, lieber Leser, liebe Leserin. Denn dieses Mal ist es Henrik Ibsen:
«Es ist unzulässig, daß Leute der Wissenschaft Tiere zu Tode quälen; mögen die Ärzte mit Journalisten und Politikern experimentieren.» [11] In: Die Fackel Nr. 230-231, vom 15. Juli 1907. Seite 13.




Erstellt: 21. Februar 2008 – letzte Überarbeitung: 19. März 2008
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