BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Peanut» [1] peanut = 1. Erdnuß 2. Am. sl. a) Wicht, ‹halbe Portion›, b) ‹kleines Würstchen›, (unbedeutender Mensch), c) pl. lächerliche Summe, ‹kleine Fische›. (Langenscheidts Grosswörterbuch, 1985)
von Henriette Orheim
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«Stell' Dir vor, da ruft mich abends um 11 ein alter Kumpel an und fragt mich, ob ich zweieinhalb tausend Mark mehr verdienen will und Heidelberg sei ja auch eine schöne Stadt, nicht, und dann könnte ich jetzt mal eben mit seinem Chef sprechen, sie säßen gerade beim Italiener nett zusammen, und er hätte dem Chef von mir erzählt, und ich sage, du spinnst doch, und er sagt, nee, nee, ich reich' Dich mal weiter, und da ist schon der Chef dran, fragt mich zwei oder drei Sachen und ich hab' den Job, so schnell geht das bei uns, obwohl ich den Kumpel gar nicht so groß kenne, wir waren nur zusammen in dieser Computer-Maßnahme, wir hatten ja beide unser Studium abgebrochen, tja, und jetzt bin ich in Heidelberg, gut, von der Stadt habe ich noch nicht so viel gesehen, ich weiß aber, daß sie sehr schön ist, wir haben hier eine Super-Büroetage, völlig neu, flexible Office mit Desk-Sharing, da hat keiner mehr seinen eigenen Schreibtisch, dafür würde der Platz bei uns auch gar nicht reichen, das Desk-Sharing ist für uns natürlich viel günstiger, sagt der Chef, weil wir dadurch viel Geld sparen, bei 60 Leuten haben wir die Arbeitsplatzkosten von bisher 450.000 Mark auf jetzt rund 100.000 Mark in der neuen Etage gesenkt, ist doch toll, und jeder kann sich natürlich einen Schreibtisch reservieren, wann immer er Lust hat, in der Mitte stehen die persönlichen Container, den zieht man sich dann zu dem reservierten Schreibtisch, loggt sich mit der Karte im Intranet ein und schon geht es los, unser Chef sagt immer, jeder hat die Hoheit über seinen eigenen Arbeitsbereich, aber eins ist klar, entscheidend ist der Erfolg, das bleibt auch so, ja, das hätte ich fast vergessen, wir haben auch einen Chill-Out-Room und ein Video-Kino auf unserer Büroetage, da ist aber meistens keiner, aber wie gesagt, eigentlich kann man sich auch von zu Hause oder von überall ins Intranet einloggen, das ist ja gerade das Tolle, daß man eben überall arbeiten kann, aber wenn es was zu besprechen gibt, bin ich doch lieber im Büro, denn am stärksten finde ich die Afterwork-Parties, stell Dir vor, der Chef spendiert Saft und Peanuts, andere bringen auch schon mal Prosecco mit, aber viel trinken tut hier keiner, denn am nächsten Morgen geht es ja weiter, sagen wir immer, und der Chef spendiert auch ein Taxi, wenn es mal wieder sehr spät geworden ist, klar, gut, also ich persönlich fange meist so um halb sechs morgens an, logge mich von zu Hause aus ein, gehe die Mails durch, gucke die Termine an, und dann programmiere ich ein bißchen rum bis so um acht, dann fahr' ich ins Büro oder zum Kunden, und eigentlich ist das ganz einfach, was ich so in der Hauptsache mache, ich bringe dem Computer das Sprechen bei, stell' Dir vor, Du rufst Deinen Kontostand ab, und das soll Dir von einer Stimme vorgelesen werden, dafür brauchst Du einzelne Worte, die sich wiederholen lassen, zum Beispiel minus ein tausend neun hundert sieben und fünfzig, ist gar nicht so schwer, aber ich bau' das eben in größere Umgebungen ein, ja also, den Tag über bin ich dann entweder bei einem Kunden oder doch im Büro, dann, wie gesagt, 'ne kleine Party so ab sieben Uhr abends, also der Job gibt mir hier so viel Power, daß ich nach zwölf Stunden immer noch Lust habe, weiterzumachen oder was zu unternehmen, mit Sicherheit, ich habe hier auch bei uns eine sehr nette und tolle Frau kennengelernt, die pendelt ständig zwischen München und Heidelberg, ist ein ziemlich hohes Tier im Dot com Business, gut viel Zeit hatten wir bisher nicht zusammen, aber wir wollen bald mal in Heidelberg ein bißchen bummeln gehen, der Chef läßt uns auch ohne weiteres auf seine Finca auf Mallorca fahren, wenn wir das so entscheiden, völlig klar, mal so richtig eine Woche relaxen, das wäre was, gut, hat bisher noch nicht geklappt, ist zuviel zu tun, aber das ist ja gerade gut für uns, also die Firma, auch wenn manche sagen, 'ne 60 Stundenwoche sei zu viel, aber erstens mache ich das freiwillig, zweitens muß das jeder für sich selbst entscheiden, und drittens kriege ich jetzt 8000 Mark im Monat, klar, für einige ist das bei uns in der Firma ein bißchen zu schnell, neulich sind zum Beispiel zwei woanders hingegangen, so richtig mit Tarifvertrag, 37½ Stunden-Woche, Altersvorsorge, Betriebskantine und eigenem Zimmer mit eigenem Schreibtisch, du weißt schon, ein Foto von der Familie auf dem Schreibtisch und Kunst-Bilder an der Wand und so, Scheiße, also wenn ich das höre von solchen Beamtenärschen, dann könnte ich mich echt aufregen, die haben doch wirklich nichts kapiert!»

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(Die meisten Sprachfiguren stammen aus einem Artikel über neue «Unternehmenskultur» in der WAZ vom 23.9.2000 und aus einer Beilage der «Sun Microsystems» in der SZ vom 10.10.2000.)



Erstellt: 16. Oktober 2000 – letzte Überarbeitung: 16. Oktober 2000
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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