BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Surfen und Sich-Selbst-Verkaufen»
von Bethchen B.
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Vor ein paar Tagen las ich wieder einmal den wahrlich einmaligen «Dominique» von Eugène Fromentin (läßt sich diese Welt ohne die «Manesse Bibliothek der Weltliteratur» überhaupt aushalten?), stolperte und stutzte bei einer bisher wohl überlesenen Stelle, dachte an das gestrige Gespräch mit Henriette, geriet ins Grübeln und landete bei Westerwelle, Guido. Bei wem? Tja, hilft ja nichts.

Im «Dominique» heißt es: «Das Leben wird nur denen leicht, die sich stets an seiner Oberfläche halten.» Und wer hält sich – von gelegentlichen Abstürzen mal abgesehen – stetig an der Oberfläche? Der Surfer. Und wie hält man sich heute ständig an der Oberfläche, auf der Schaumkrone der Wellen? Indem man permanent in der «Öffentlichkeit» präsent ist und vor allem sich auch «nicht zu schade» ist, sich eben allüberall in der Öffentlichkeit zu präsentieren, also sich zu verkaufen, zu verschachern. Und wo ist die Öffentlichkeit? Na, stupido?

In meiner Funktion als Skatologin und Medienzoologin schaue ich bevorzugt «Formate», die die vollendete Agonie des Realen und das damit einhergehende Verschwinden des Subjekts in besonders derben Tönen besingen. Lieblingssendung Nr. 1 ist nicht «Krieg-Total», weil das Format noch ein wenig in der Schublade warten muß, sondern «TV-Total», wo das Öffentlichkeitswesen Stefan Raab andere Öffentlichkeitswesen dazu bringt, auf den Schaumkronen der Öffentlichkeit zu surfen und sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Öffentlichkeitswesen sind Wesen, die immer an der Oberfläche surfen und die, damit das so bleibt, ihr Ich aufgegeben haben und nur noch aus einem Image bestehen. Und da ihre Imageberater ihnen gesagt haben, daß jede Publicity gute Publicity ist und daß daher eine Verweigerungshaltung gegenüber dem medialen Apparat gleichbedeutend ist mit einem Verschwinden, einer Entmachtung, ja dem Tod, machen sie mit. Lieblingssendung Nr. 2 ist nach wie vor Big-Brother, womit dem Realen, was auch immer es gewesen sein mag, dankenswerterweise der finale Todesstoß gegeben wurde.

Unschwer zu erahnen, wer in beiden Formaten mittlerweile seinen Auftritt hatte: Guido Westerwelle, die Ikone aller Surfer, Populisten und Selbstausbeuter, der, das sag' ich jetzt mal, nur von einem Ruck nach noch weiter Rechts daran gehindert werden kann, in spätestens 10 Jahren an der Spitze dieses Staates zu stehen. Er läßt sich auf ein Bier in den Menschenmüllcontainer einschließen («Oh! Wow! Super! Wahnsinn!»), um Schwester Steffi zu zeigen, daß es auch Männer gibt, die einen Satz geradeaus sprechen können. Gleichzeitig gelingt es ihm, Nominator Christians Outlawdasein zu heroisieren. Er kann es eben allen recht machen. Und das ist sexy, heutzutage, diese neue Form der Selbstlosigkeit, ein Leben ohne Position, immer darauf ausgerichtet, sich möglichst überall anzubiedern, sich selbst loszuwerden.

Von dem großen Aphex Twin gibt es ein Ambientstück ‹Surfing on Sinewaves›. Ich schreib' mal um: Die Selbstausbeuter singen im Chor ‹Surfen auf Westerwellen›. Bei TV Total bringt Guido Westerwelle diese Fähigkeit den «Goldenen Raab», den er mit in den Bundestag nehmen will, um dem Kanzler zu zeigen, wie eine effektive «Öffentlichkeitsarbeit» heute funktioniert. Die ‹Freien› ‹Demokraten› haben natürlich als erste durchschaut, daß ein offensives Sich-Verkaufen bei der Masse supergut ankommt. Dies ist, was es heißt, «die Westerwelle zu machen»: Sich verkaufen können, ohne einen Schimmer von Würde.

In Stufe Eins der medialen Selbstreferenz wurden Öffentlichkeitsmenschen der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn ihr würdeloses Verkaufen an den medialen Apparat zur Schau gestellt wurde. In Stufe Zwei der medialen Selbstreferentialität ist diese Würdelosigkeit eine Fähigkeit, die von der «Öffentlichkeit» beklatscht wird, wenn sie so gezielt eingesetzt wird, wie von Guido Westerwelle. Damit ist Westerwelle der Protagonist der Neuen Prostitution: Sich verkaufen können als «Kernkompetenz» auf dem neoliberalen Arbeits- und Wählermarkt.

An Westerwelle ist auch noch interessant, daß es ja tatsächlich ein Geschäft ist, das er da durchzieht. Er verkauft sich, und erhält Stimmen. Tragischerweise gibt es sogar einen Bezug zur Personenperson. Hier ist es eine ultrakapitalistische, bei der die subjektive Kontrollinstanz soziale Kontexte durchschaut, um sich dann aus dem Personenrepertoire die rauszugreifen, die maximalen Profit verspricht. Westerwelle hat eben gelernt, sich in verschiedenen Kontexten anders zu geben und nützt das schamlos aus. Die Erkenntnis, keinen Wesenskern zu haben, also niemand, also alle zu sein, wird vollkommen in den Dienst der persönlichen Profitmaximierung gestellt. Und dies ohne eine wie auch immer geartete Rückkoppelung, nennen wir sie heute meinetwegen mal Verantwortung. Schöne neue Welt. Westerwellenwelt.



Erstellt: 31. Oktober 2000 – letzte Überarbeitung: 31. Oktober 2000
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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