BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Dummheit zum Frühstück»
von Albertine Devilder & Henriette Orheim
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«Es ist eine schreckliche Situation, dazuliegen,
wenn die Pferdehufe der Dummheit
über einen hinweggegangen sind,
und weit und breit keine Hilfe.»
(Karl Kraus)

Einführung

Ach ja, ‹Dummheit›. Die erste Reaktion von dummen Menschen auf die Mitteilung, man schreibe an einem Traktätchen über ‹Dummheit› ist ein «Aber Du bist schlau, oder?» Und die erste Reaktion von klugen Menschen auf eben diese Mitteilung ist ein «Oh je, wo willst Du da anfangen, und wie willst Du da je zu einem Ende kommen?»

So ist es. Und wir verraten den Freunden und Freundinnen der Bochumer Arbeitsgruppe und des Skepsis-Reservates bestimmt nichts Neues, wenn wir erzählen, daß wir schon seit zig Jahren ein ‹Arbeitspapier› über die ‹Dummheit› planen. Wir kommen nur nie dazu, unsere Stapel von Notizen in ein System zu pressen oder ihnen zumindest eine schöne Form zu geben. Zu vielfältig sind die Beispiele für die gelebten Dummheiten des ‹gesunden Menschenverstandes›, die uns täglich nerven - oder amüsieren, je nachdem.

Deswegen entlasten wir uns, indem wir heute nur eine kleine Glosse schreiben über ein typisches Beispiel für grenzenlose Dummheit. Eines, von täglich tausenden!


Zum Frühstück eine Zeitung

Lieber Leser, liebe Leserin, vermutlich geht es Ihnen des Morgens, wenn Sie unbefangen in Ihre Regionalzeitung gucken, genau so wie uns, und Sie denken: «Mein Gott, welche Dummheit springt mir hier ins Gesicht!» Und wir sprechen hier von einer sich seriös gebenden Regionalzeitung - also etwa von der im Ruhrgebiet so verbreiteten WAZ - und nicht von einer ‹Schmierlappenzeitung›. Natürlich haben beide Medien die Aufgabe, ihre Kunden ganz ausweglos kognitiv dort festzukleben, wo sie bereits sind, aber es gibt feine Unterschiede zwischen ihnen.

Über die speziellen Aufgaben von ‹Schmierlappenzeitungen› - sagen wir mal ganz kurz: Analphabetisieren und Erregen - haben wir im Skepsis-Reservat schon einiges gesagt. Gehen Sie doch mal eben zu Google, geben sie dort ‹Schmierlappenzeitung› in das Suchfeld ein und klicken Sie dann auf ‹die Suche unter Einbeziehung der übersprungenen Ergebnisse wiederholen›. Na, ist das nicht nett? Sie finden nur Texte von uns! Denn dieses schöne Wort ‹Schmierlappenzeitung› haben wir erfunden, das gibt es nur bei uns, nur hier, nur im Skepsis-Reservat!

Doch weiter: Ein längerer Essay über die politischen Aufgaben von Regionalzeitungen ist - ebenso wie unser Arbeitspapier über die Dummheit - aus hygienischen Gründen dringend notwendig und schon seit Jahren geplant, leider reichen unsere Kräfte nicht aus, um all' unseren Plänen nachzugehen und hier zum Beispiel die von solchen Blättern täglich verbreiteten Unsäglichkeiten angemessen zu kommentieren. Und wenn wir ‹Unsäglichkeiten› sagen, meinen wir das wörtlich. Das Duden-Synonymwörterbuch aus der Office-Bibliothek öffnet in der 3. Auflage von 2004 zum Wort ‹unsäglich› diesen Konnotationshof: «Ärgerlich, blamabel, das Letzte, dümmlich, eine Frechheit, haarsträubend, himmelschreiend, niveaulos, peinlich, schändlich, schlecht, skandalös, unerträglich, unsinnig; blöd, bodenlos, entsetzlich; unverschämt; albern, erbärmlich, hanebüchen, lächerlich, lachhaft, töricht; schrecklich; unmöglich.»

Und was hat uns nun an diesem Morgen so echauffiert, daß wir gleich ein Traktätchen schreiben müssen? Ach, es ist ja nicht so sehr die einzelne Qual, es ist die Aufhäufung der Qualen, die permanente Querung von Schmerzgrenzen. Und damit meinen wir nicht die schlicht unglaublichen Leserbriefe in den Regionalzeitungen, in denen Menschen eine Meinung mitteilen, von der sie glauben, daß sie eine Bedeutung habe. Gestern lasen wir zum Beispiel ein «Endlich wird in NRW wieder Politik für Menschen gemacht, und nicht nur für Hamster!» Läßt sich dieser Abgrund überhaupt kommentieren? Nein: «Die Meinung ist die Königin der Welt, weil die Dummheit die Königin der Schwachköpfe ist.» (Nicolas Chamfort) Lassen wir um Gottes Willen die ‹Leserbriefe› weg! Punkt.


Nur ein Beispiel

Doch kommen wir endlich zu dem, worüber wir berichten wollten. Heute morgen prangte uns auf der ersten Seite der oben erwähnten Regionalzeitung dies entgegen: «Online-Banking immer unsicherer.»

Lieber Leser, liebe Leserin, Sie haben ja Recht, wir können hier auch keinen großen Unterschied mehr zu ‹Schmierlappenzeitungen› erkennen, hier wird analphabetisiert und erregt, denn um nichts anderes geht es. Aber wir schauen genauer hin: Das Online-Banking ist derzeit völlig sicher, denn die Verschlüsselungen über die ‹https›-Seiten sind bisher noch nie geknackt worden. Es gibt nur das Problem, daß dumme Menschen auf ‹Pishing-Angebote› hereinfallen - um sich dann über andere zu empören. Denn «Auch die Dummheit hat Ehre im Leib, und sie wehrt sich sogar heftiger gegen den Spott, als die Gemeinheit gegen den Tadel. Denn diese weiß, daß die Kritik recht hat, jene aber glaubt's nicht.» (Karl Kraus).

Was sollen wir also zu den Leuten sagen, die ihre PIN-Nummer auf ihre Scheckkarte schreiben, oder die auf eine E-Mail antworten, in der Sie höflich gebeten werden, doch ihre PIN-Nummer und möglichst noch einige TAN-Nummern mitzuteilen? Wie kann man nur so dumm sein? Hören wir noch einmal auf Nicolas Chamfort: «Die meisten Menschen leben in der Welt, in der sie leben, so unüberlegt, sie denken so wenig, daß sie die Welt, die sie immer vor sich haben, gar nicht kennen.» Nun, wer wagt hier zu widersprechen? Wir nicht.

Aber ist deswegen das Online-Banking unsicher? Nein, keineswegs. Schon wer die Anhänge von mysteriösen E-Mails anklickt und damit öffnet, handelt grob fahrlässig. Aber wer seine geheimen und absolut privaten Daten an Fremde weiter gibt, handelt bescheuert. Und die Aufgabe der Regionalzeitung ist es, unter allen Umständen auf Seiten der Dummheit zu stehen. Es heißt also ‹Online-Banking immer unsicherer›, gleichzeitig wird der Dummkopf, der seine Daten weiter gibt, aber entschuldigt, förmlich exkulpiert, und, wenn wir richtig informiert sind, kriegt er sogar von seiner Bank das von ihm verschenkte Geld zurück. Warum eigentlich? Durch Schaden wird man doch angeblich klug?

Das ganze Drum und Dran erinnert uns sehr an Albertines Traktat über ‹Falsche Empörung›. Lesen wir eine kleine Passage daraus:

«Es ist quälend und abstoßend, daß Menschen nicht erkennen können, wie sie ihre Empörung so oft aus einem Unrecht heraus starten. Psychoanalytikerinnen hätten ihre reine Freude an diesem psychischen Arrangement. Aus dem [...] Fühlen des Falschen neigt der Dummkopf zu ganz großen Attacken, muß wegen des erlittenen Unbills sofort an die Öffentlichkeit gehen. [...] So suchen sie «menschliche» Unterstützung für ihre Einäugigkeiten, als könne die Öffentlichwerdung ihrer Wirklichkeitsversion eben diese zur Wahrheit machen. Das geht [...] wirklich so weit, bis der einsichtslose, einsichts-unfähige Dummkopf am Ende der Sackgasse des eigenen Ichs angekommen ist und den Kopf an die vernagelte und verrammelte Wand seiner Möglichkeiten schlägt. Und selbst dieser Schmerz, diese eigentlich letzte Warnung, wird wieder auf die Welt da draußen attribuiert: Alle haben sich gegen mich verschworen! Oh Einfalt.»

Was also ist Dummheit? Oh, viel, so viel! Aber hier bleiben wir bei diesem Blick: Von Dummheit sprechen wir, wenn jemand seine Wirklichkeit selbst herstellt und anschließend in groben Worten bestreitet, sie hergestellt zu haben.


Schluß

Wenn wir also beim Frühstück die Überschrift lesen ‹Online-Banking immer unsicherer› und wieder einmal darauf gestoßen werden, wie falsch und wirklichkeitsverdrehend nicht nur diese Headline sondern viele andere Überschriften vermutlich sind, dann sollten wir nicht bereits am frühen Morgen unser Haupt bedecken und verzweifeln, sondern in Anstand und Anmut ein Traktätchen schreiben. Vollkommenen Trost suchen und finden wir eh nur bei den Klassikern, bei dem Klassiker, beim Titan aus Weimar:

«Denn was unterscheidet den Dummkopf vom geistreichen Menschen, als daß dieser das Zarte, Gehörige der Gegenwart schnell, lebhaft und eigentümlich ergreift und mit Leichtigkeit ausdrückt, als daß jene, gerade wie wir es in einer fremden Sprache tun, sich mit schon gestempelten, hergebrachten Phrasen bei jeder Gelegenheit behelfen müssen.» (Johann Wolfgang von Goethe)



Erstellt: 28. Juni 2005 - letzte Überarbeitung: 28. Juni 2005
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