BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Back to the Future!»
von Tom B.
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«Was ist der Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus?
Im Sozialismus werden die Banken erst verstaatlicht und gehen dann pleite.
Im Kapitalismus gehen sie erst pleite und werden dann verstaatlicht.»
(Heribert Prantl, in der SZ vom 23.2.2009)

1989

Lieber Leser, liebe Leserin, ich war dabei als die Mauer fiel, und zwar auf der Seite, die in diesem Moment nicht nur ihre Aluwährung, sondern auch ihr komplettes Wertesystem, ja, ihre Weltkonstruktion verlor. Aber Konzepte sind nicht tot zu kriegen, und so sehe ich mich zum zwanzigjährigen Jubiläum dieser Ereignisse einem besonderen Phänomen gegenüber: Der Realsozialismus – inklusive des Paradigmas der staatsgesteuerten Planwirtschaft mit staatseigenen Betrieben – steht vor der Tür und wird dem Volk mit der Gebetsmühle ‹Rettung von Arbeitsplätzen› verkauft, schafft aber gleichzeitig das Großparadigma ‹Marktwirtschaft› ab. Ich finde dies grundsätzlich amüsant und spannend, überlasse die reine Satire aber anderen.

Mich interessiert, wie die Welt meiner wenigen Jungpionierjahre, nach zwanzig Jahren, ohne mit der Wimper zu zucken, von den selben Menschen eingeführt wird, die total christlich, anti-sozialistisch, anti-kommunistisch und wirtschaftsliberal sind. Eigentlich müßte es diesen Menschen doch auffallen, daß sie gerade einen Hauptteil, einen Knackpunkt ihrer eigenen Standardkonstruktion nicht nur dekonstruieren, sondern über den Haufen werfen. Aber im finalen Kapitalismus der Postmoderne geht sowas problemlos, und ich möchte hier gerne erklären, warum es für Herrschende in Deutschland komplett logisch erscheint, so etwas zu tun.

Die beiden Paradigmen, die ich hier behandeln will, kann man wohl mit ‹Vollbeschäftigung› und sozialer ‹Marktwirtschaft› beschreiben. Allerdings steckt hier mehr und manches noch spannendere dahinter und am Ende gar die Frage, warum sich beide Forderungen ausschließen.


‹Vollbeschäftigung›

Fangen wir mit der ‹Vollbeschäftigung› an, einem der hehrsten Ziele unserer Eliten. Was meint man damit überhaupt genau? Nun, Vollbeschäftigung im politischen Redesinne bedeutet, daß möglichst die meisten Menschen in diesem Land – allerdings nicht alle, weil das wäre ja Kommunismus und böse – einen sozialversicherungspflichtigen Beruf ausüben. Wichtig hier ist: voll sozialversicherungspflichtig, denn die moderne Welt inklusive des sozialen Sozialstaats hängen immer noch der alten benediktinischen Regel an, daß nur derjenige etwas zu essen haben sollte, der auch arbeitet, auch wenn dies die Befunde der modernen Soziologie und die Ideen der Wirtschaftswissenschaften ignoriert. Aber immerhin ist es populär, man hat es ja lange genug erzählt. Halten wir also fest: Nur Menschen mit Arbeit sind glücklich. Denn Arbeit an sich erfüllt sämtliche Stufen der Maslow'schen Bedürfnispyramide auf einmal – oder war das jetzt Marx?

‹Vollbeschäftigung› ist also das Ziel, denn der komplett unmoderne, aber eben auch sehr benediktische Sozialstaat muß auf jeden Fall gestützt werden. Und diese ‹Vollbeschäftigung› ist wichtig für die Vita von Politikerinnen, denn eine eindrucksvolle politische Leistung hängt direkt davon ab, wie viele Arbeitsplätze man in seiner Laufbahn vorgibt, gerettet oder geschaffen zu haben.


‹Marktwirtschaft›

Eine andere wichtige verbale Leistung für jegliches Mitglied unserer politischen Elite, ob adelig oder bourgeois, besteht darin, die ‹Marktwirtschaft› zu verteidigen. Soziale ‹Marktwirtschaft›, die Älteren werden sich erinnern, bedeutete einmal, daß es in Deutschland einen Markt gibt, in den der Staat sozial lenkend eingreift. Wie wir sehen, ergibt sich daraus etwa eine Forderung nach der oben genannten ‹Vollbeschäftigung›, allerdings nicht in extremis, aber wen interessiert das schon. Es müssen klare Botschaften her, und somit sind ‹wir alle› für die soziale ‹Marktwirtschaft›. Allerdings ist die gar nicht mehr so sozial, denn die ‹Marktwirtschaft›, wie sie von den ‹Herren des Wörterbuches› gepredigt wird, stellt den Markt vor alles und über alles. Sozial bedeutet in der Logik des obigen Eintrags nur, daß möglichst viele Menschen eine Anstellung haben – zu welchem Lohn auch immer – und das wiederum bedeutet, die Wirtschaft muß laufen, und zwar immer. Konjunktur ist etwas für Langweiler, der Markt regelt alles, aber bitte nur zum stetigen Wachstum hin. Denn das Wachstum ist das eigentliche ‹Soziale› an der ‹Marktwirtschaft›. Um das Wachstum zu erreichen, müssen wir allerdings das klassisch-soziale an der sozialen ‹Marktwirtschaft› erst einmal abschaffen, denn je liberaler Regeln gehandelt werden, desto besser fühlt sich die Wirtschaft.


2009

Wie sie sehen, lieber Leser, liebe Leserin, beißen sich diese beiden kapitalistischen Großkonstrukte genau da in den Schwanz. Wir vertreten eine soziale ‹Marktwirtschaft›, die nur deswegen sozial ist, weil Menschen hier ihr Geld bekommen, so wenig es auch sein mag. Ansonsten ist die ‹Marktwirtschaft› komplett liberal, denn Wirtschaftswachstum ist gleich Volksversorgung, und am ‹Wachstum› haben alle teil! In der modernen Wirtschaftswelt kann Wachstum allerdings nur auf Kosten der Kosten erreicht werden – und Menschen kosten am meisten. Hier ist dann der entscheidende Widerspruch zu finden.

Dem hehren Ziel der ‹Vollbeschäftigung› steht ein kalter Markt gegenüber und entgegen, und so entscheiden sich die Entscheidungsträger im Superwahljahr für die ‹Vollbeschäftigung›. In der derzeitigen Krise bedeutet das aber nur, daß Unmengen staatlicher Gelder benutzt werden, um den Anschein einer ‹Vollbeschäftigung› aufrechtzuerhalten und voilà, schon haben wir unser zweites Großkonstrukt, die ‹Marktwirtschaft›, ausgehebelt.

Und so passiert es, daß die strengen Hüter der ‹Marktwirtschaft› eben diese abschaffen, indem sie versuchen, die Märchen, die sie den ganzen Tag dem ‹Volk› erzählen, auch wahr werden zu lassen. Deswegen auf und zurück in die Zukunft! Ich war sogar schon einmal da.



Erstellt: 22. Februar 2009 – letzte Überarbeitung: 23. Februar 2009
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