BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Verblasste Mythen (3): Feminismus»
von Artus P. Feldmann & Albertine Devilder
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Was ist eigentlich Feminismus?

Ok, Gender-Fragen sind im finalen Kapitalismus schon lange nicht mehr angesagt, und außer dem ‹Kapitalismus› kann und darf es keinen anderen -ismus mehr geben. Dennoch sollten wir diese einfache Frage, was denn ‹Feminismus› sei, als erstes beantworten: Der Feminismus lebt von dem Gedanken, daß in einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur mit Männern und Frauen in einer gleichen Weise umgegangen werde. Männern und Frauen sollten die gleichen ‹gesellschaftlichen Rechte› eingeräumt werden. Dieser Gedanke, dieser Wunsch, diese Forderung bezieht sich auf private, politische, soziale und insbesondere ökonomische Räume. Feministen und Feministinnen setzen sich dafür ein, daß dieser Gedanke der Gleichberechtigung – wo immer möglich – in die Tat umgesetzt werde. Feminismus ist also ganz zwangsläufig ununterbrochene Gesellschaftskritik.

Eine beliebte und verbreitete Gegenposition im finalen Kapitalismus vertritt die Ansicht, daß Frauen und Männern aufgrund ihrer biologischen Ausstattung verschiedene ‹natürliche› Rollen in unserer Gesellschaft zuzuweisen seien und daß feministische Forderungen sich somit als absurd und unnatürlich erwiesen. Mutige konservative und christliche Politiker sprechen so etwas gelegentlich auch noch aus, kurz nachdem sie eine 30 Jahre jüngere Frau geheiratet haben – zur Verschönerung ihres Heims.


Status quo

Wenn wir uns die ‹Realität› betrachten, stellen wir sofort fest, daß es trotz einer ‹Gleichstellungspolitik› und hunderten von ‹Gleichstellungsbeauftragten› mit der ‹Gleichstellung› und der ‹Gleichberechtigung› in unserem Gemeinwesen hapert: Wir sehen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen (bei gleicher Ausbildung), eine lächerlich geringe Anzahl von Frauen in besseren Positionen in den Universitäten etc. etc. etc. Es gibt am Ende der Nullerjahre vielfältige Benachteiligungen von Frauen in den verschiedenen sozialen und ökonomische Räumen. Wir können heute also nicht davon sprechen, daß es für Frauen eine Gleichheit und Gerechtigkeit gebe.

Wir möchten in diesem kleinen Traktat jedoch nicht auf eben diese sozialen und ökonomischen Räume schauen, sondern uns mit der physischen und physischen Zurichtung von Frauen befassen.


Der patriarchale Trick

Wenn wir heute einer jungen Frau erzählen, sie würde in unserer Kultur physisch und psychisch so zugerichtet, daß sie der Männerwelt gefallen möge und dem Kapital in den Armen liege, wenn wir ihr zu zeigen versuchen, der Zwang, schön zu sein, sei eine gegen sie gerichtete Gewalt, ein Übergriff gar, wird sie sich kaputt lachen und uns etwas antworten, was vermutlich so klingt: «Geht's denn noch? Ich kann doch wohl für mich allein entscheiden, was ich mache. Wieso werde ich zugerichtet? Ich schmink mich gern, ich zieh gern nette Sachen an, ich bin gerne sexy für meinen Freund. Also. So ein Quatsch. Das muß doch jeder für sich selbst entscheiden, was er tut und was am besten für ihn ist.» Und so weiter. Denn ohne das Wort ‹Emanzipation› überhaupt zu verstehen, fühlen sich die jungen Frauen emanzipiert. Wir fragen: Wovon? Von was?

Auf den ersten Blick gibt es für alle Mädchen und jungen Frauen eine unermeßlich groß scheinende Selbstbestimmung und die völlige Freiheit, sich Klamotten und eine Kosmetikserie ihrer Wahl aussuchen zu dürfen. Kaum ein Mädchen oder eine junge Frau schafft es bis zu dem zweiten Blick, daß es nämlich einen erheblichen gesellschaftlichen Druck, ja einen Zwang gibt, schön zu sein. Wer in den Nullerjahren einen Blick in die vielfältigen medialen Angebote riskiert, in denen ältere Frauen durch Operationen verschönert und die Körper junger Frauen in Casting-Shows ausgestellt werden, ahnt, was wir meinen. Aber das Phänomen bleibt: Die Zugerichteten wollen von ihrer Zurichtung nichts wissen. Das nennen wir: Eine erfolgreiche Sozialisation.


Variablen der Zurichtung

Unsere Aufgabe in diesem Traktätchen ist es nicht, die vielfältigen Variablen der Zurichtung zu sammeln und zu beschreiben. Schön sein zu müssen, ist nur eine Dimension. Wobei es sehr lustig ist, daß das Kapital nach der Erfindung des Metrosexuellen mittlerweile äußerst erfolgreich Kosmetika auch an Männer verkauft. Schlank sein und endlose Diäten aushalten zu müssen, ist das andere. Cool und sexy zu sein ist das dritte. Den Wünschen von Männern in sexueller Hinsicht entgegen zu kommen und aus für Männer gemachten pornographischen Filmen zu lernen, ist das vierte. Und so geht es immer weiter.

Nehmen wir nur ein beispielhaftes Medium: Jeder Blick in die Zeitschrift ‹Cosmopolitan›, die völlig selbstverständlich und fraglos die patriarchale Zurichtung von Frauen betreibt, ist ein Schlag ins Gesicht. Nur: Junge und kluge Frauen in den Nullerjahren spüren diese Schläge nicht. Sie sind schmerzfrei. Und junge und weniger kluge Frauen finden nichts dabei, daß die größte Schmierlappenzeitung dieses Landes täglich eine nackte Frau präsentiert, die deutlich macht, daß sie bereit ist. Für einen Mann. Das geht derzeit so weit, daß Frauen ihre Körperbehaarung komplett zu entfernen haben, damit ihre einstmalige Scham keine Scham mehr darstelle. Und nach den Brüsten, die es zu gestalten gilt, schließen allfällige Schönheitsoperationen jetzt auch die primären Geschlechtsmerkmale ein. Wozu das ganze? Eben.


Feminismus: Ein verblasster Mythos?

Der ‹Feminismus› hatte seine Zeit. Der Feminismus gerierte sich mal als Herrschaftskritik, als Forderung, die Situation von Frauen strukturell zu ändern. Ältere, nette Frauen sprechen heute noch manchmal ganz gerührt von diesem Anspruch, dieser ‹Bewegung›, und schreiben in klugen Artikeln über ihre Enttäuschung. Warum Enttäuschung? Weil die jungen, coolen, sexy Frauen nicht begreifen, um was es geht. Sie richten sich im Patriarchat ein, wie es Männer tun.

Viele junge Frauen (ach, wie lieben wir die Ausnahmen von der Regel!) streben heute ganz auf sich selbst bezogen nach Glück und vor allem nach Aufmerksamkeit. Sie haben ‹Erfolg› und einen angesagten ‹Must-have-Bag›. Warum sollten sie in der Zwischenzeit an andere Menschen denken? Eben. Man nennt sie ‹Alphamädchen› oder ‹Pop-Feministinnen›. Sie sagen, sie interessierten sich für Menschen, würden sehr gerne irgendetwas mit Medien machen, und landen, wenn sie mediengerecht gestylt sind, bestenfalls als Wetterfrau bei einem Privatsender.

Diese jungen Frauen sind so sozialisiert worden, daß sie keinen Blick für die Strukturen unseres gesellschaftlichen Systems haben. Das soll so sein. Sie verstehen das Wort ‹Gesellschaftskritik› auch gar nicht, denn sie haben nichts zu kritisieren, außer einem «Guck Dir mal meine Beine an, und ich bin noch keine dreißig!» Doch dieser eingeschlagene Weg, selbst dieser Wunsch, diesen Weg zu gehen, ist sowas von ahnungslos, arglos, beschränkt, bieder, blauäugig, blöde, dämlich, dumm, dusselig, einfältig, gutgläubig, gutmütig, harmlos, infantil, kindlich, leichtgläubig, nichts ahnend, sorglos, töricht, treuherzig, unbedarft, unbefangen, unkritisch, vertrauensselig, kritiklos und treudoof [1] Wie immer: Großer Dank an das Duden - Synonymwörterbuch, 3. Aufl. Mannheim 2004 auf CD-ROM., daß es dazu nichts mehr zu sagen gibt.

Ist der Feminismus ein verblasster Mythos? Oh nein. Der Feminismus ist tot.



Kommentare:

«Wozu alles? Die Menschen lernen ja doch nichts.»
(Zweistromland, ca. 2500 v. Chr.)
Lieber Artus,

da bin ich mal wieder. Schöne Bestandsaufnahme. Wobei ich Euch wahrscheinlich richtig verstehe, dass der Tod des Feminismus auch für Euch letztlich nur eine Begleiterscheinung der Unmöglichkeit eines kritischen Bewusstseins im Zeitalter des Konsumismus ist? Wie sollten sie auch das Wasser wahrnehmen, wenn alle Sinnesorgane verstopft werden.

Doch Du kennst mich ja, Dona Quixota gegen die Windmühlen des Kapitalismus. Im November bin ich mal wieder im Zentrum des Bösen und referiere bei der Ärztekammer über ‹Angewandte Ethik und soziale Identität in der Rehabilitation›. Eine meiner Lieblingsveranstaltungen; den MedizinerInnen suppt das Unverständnis so was von aus den Tränensäcken. Dazwischen aber doch immer wieder ein oder zwei fragende Augenpaare, daran richte ich meine Sozialromantik dann wieder auf.

Dem Motto auf meiner ersten Folie "Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es" von der guten alten Simone de Beauvoir füge ich jetzt noch Eure Definition der erfolgreichen Sozialisation in das patriarchale Aquarium hinzu. Und dann schaue ich mal, wie die Zugerichteten reagieren. Wobei ich in solchen Situationen nie weiß, was ich mir denn nun wünschen soll, den Endsieg der suppenden Tränensäcke oder doch mal wieder und jetzt aber wirklich den allerletzten Hoffnungsschimmer für die Sozialromantik.

Euch noch einen schönen Abend,
Bettina

_______


Liebe Albertine, lieber Artus,

nach meiner Beobachtung (in gewissen Internet-Foren, in denen ich mich unerklärlicherweise herumtreibe) ist der Feminismus mindestens in einer Funktion noch am Leben, nämlich als Feindbild. Da gibt es die starke Tendenz, den Feminismus für allerlei Probleme zwischen Frauen und Männern, Partnersuche etc. verantwortlich zu machen, als hätte es solche Probleme ohne Feminismus nicht gegeben. Die Argumentation läuft ungefähr so, dass ‹der Feminismus› den Männern eingebläut hätte, sie müssten einen viel zu grossen und unnatürlichen Respekt vor den Frauen haben, diese auf einen Podest stellen und dürften sich nicht mehr ‹männlich› verhalten, und deswegen seien nun alle, Männer und Frauen gleichermassen, verunsichert und nichts würde mehr so funktionieren, wie es vorher ‹natürlich und richtig› gewesen sei.

Insbesondere Männer, die es nicht schaffen, irgendeine selbstbewusste und wenigstens materiell unabhängige Frau von ihren Qualitäten zu überzeugen, hängen gerne der Überzeugung an, daran seien auf Rang 1 der Feminismus und auf Rang 2 ihre eigene verquaste Erziehung schuld, die sie daran gehindert hätte, ‹richtig männliche Arschlöcher› zu werden, welche als solche natürlich keinerlei Probleme mit dem anderen Geschlecht mehr haben würden. (Euer Text handelt wohl von den Frauen, die dieses traurige Spiel dann mitzuspielen ausersehen sind.)

Weiterhin wird der Feminismus gerne in Verbindung gebracht mit hässlichen männerhassenden weiblichen Ungetümen. Inhaltlich assoziiert man mit ihm (neben seinem destruktiven Einfluss auf das allgemeine Sex- und Beziehungsleben) skurrile Sprachkonstruktionen wie die Frau ‹Mitgliedin›. Sonst weiss man eigentlich nichts darüber.

Ich schenke mir hier mal, gegen diese Konstruktionen anzuschreiben - ich habe mich damit oft genug an den entsprechenden Plätzen aufgerieben - und teile mit euch bloss die unerfreuliche Beobachtung, dass einem derartiges Zeugs an leider all zu vielen Orten mit einer derartigen Wucht ins Gesicht bläst, dass einem ganz schlecht wird.

Bitte weitermachen!

Beste Grüsse
von Christian aus London



Erstellt: 1. September 2010 – letzte Überarbeitung: 1. September 2010
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