BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«‹Verona› und ‹Kristina› reden über den ‹Feminismus›»
von Albertine Devilder
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«Um Unwissenheit zu erfassen,
bedarf es beträchtlichen Wissens.»
(Michel de Montaigne)

Liebe Freunde und Freundinnen der ‹Bochumer Arbeitsgruppe›, da die in unserem ‹Skepsis-Reservat› erscheinenden Texte und Traktate immer wieder die Abgründe unserer Kultur und die vermeintliche Höhe unserer Zeitläufte trefflich einfangen, sind sie den ‹Analysen› von Lohnschreibern immer weit voraus. Genau deswegen lieben Sie ja unsere Website. Heute nun werfen wir unser Netz aus, um wieder einmal das Wort ‹Feminismus› zu haschen.

Helmut Hansen hat bereits im Jahr 2001 darauf hingewiesen, was es heißt, in unserer ‹Gesellschaft des Spektakels› zu leben. Denn wie wir in unserem erfolgreichsten Arbeitspapier Nr. 11 skizziert haben, geht es in der Postmoderne – und erst recht in der Postpostmoderne – um nichts mehr, d.h., um nichts Höheres. Alle großen Entwürfe und Denktraditionen sind eingestürzt. Was heute zählt, muß doch jeder – ganz persönlich jetzt – für sich selbst entscheiden. Und sind die großen Entwürfe des Denkens erst einmal erfolgreich vaporisiert worden, können sie nur noch belächelt oder veralbert werden:

«Im Spektakel geht es um die Banalisierung aller lebenswichtigen Ereignisse und gesellschaftlichen Prozesse, um die lächelnde Ablenkung von allen wesentlichen Fragen, die die Gesellschaft eigentlich zu lösen hätte, ja um die Verwedelung aller Eigentlichkeit, um die Depersonalisation der Person.»

Einer dieser großen Entwürfe ist das Denkgebäude des ‹Feminismus›. Über die Angemessenheit, die Erforderlichkeit, die Dringlichkeit dieser Denkschule brauchen wir nicht zu sprechen, wenn wir uns an Adornos Satz von der ‹2000 Jahre währender Unterdrückung der Frau› erinnern. Die Frage ist nur, wie es so weit kommen konnte, daß Frauen in den Nullerjahren mit dem Wort ‹Feminismus› gar nichts anfangen können.

Nun, den findigen patriarchalischen Trick und die Variablen der Zurichtung haben wir erst kürzlich beschrieben. Und wie in einer geradezu klassischen Standardsituation in unserer ‹Gesellschaft des Spektakels› der ‹Feminismus› als ein altes und notwendiges Denkgebäude – natürlich im TV und natürlich unter dem Jubel des Publikums – pulverisiert wurde, zeigte Helmut Hansen in seinem o.g. Essay.

Wir zitieren aus diesem sehr aufschlußreichen Text, aus einem bestimmten Grund, der bald ersichtlich wird:

«Da ist zunächst einmal ein Moderator, der sich schon als bewährter Hüter des Schlafes ausgezeichnet hat und von dem im Sinne des Spektakels noch viel zu erwarten sein wird. Dieser Moderator lädt nun zwei Frauen ein: Eine junge Pop-Ikone, einen ‹Star›, nennen wir sie einfach mal ‹Verona›, die im hoch gelobten Rufe steht, gerne die Rolle eines «Sexualobjektes» und eines «Dummchens» zu spielen; und eine ältere Frau, auch eine prominente Medienfigur, nennen wir sie schlicht ‹Alice›, die im Rufe steht, eine kluge «Feministin», ja eine «Emanze» zu sein. Die beiden Frauen unterscheiden sich nicht nur ganz erheblich hinsichtlich ihres Alters, ihres Aussehens und ihrer Kleidung, sondern insbesondere auch dadurch, daß ‹Alice›, die wesentlich ältere, mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, mit Absichten, mit Überzeugungen, ja mit Diskurswünschen in diese Sendung geht, während die jüngere Frau genau weiß, was von ihr erwartet wird: Die Zerstörung jedes aufkommenden Diskurses, und das immer wieder. Der Moderator hofft nur eins, daß sich durch diesen großen Unterschied zwischen den beiden eingeladenen Frauen für die Zuschauer seines Formates eine schöne Belustigung ergibt und für seine TV-Firma eine profitable ‹Einschaltquote›».

«Da ist also ‹Alice›, sie will – unverständlicherweise – mit ‹Verona› ins Gespräch kommen, und dies in einem Medium, in dem es keine Gespräche geben darf. Sie scheitert. Natürlich. Aber warum beteiligt sie sich an diesem Spektakel? Ist sie längst ein Teil desselben? Ja. Weiß sie das? Nein.»

«Und da ist ‹Verona›, der Star. […] ‹Verona› weiß, was von ihr als Pop-Ikone erwartet wird. Da ist sie alles andere als dumm. So sieht sie ihre Hauptaufgabe an diesem Abend darin, einen großen Teil ihrer sekundären Geschlechtsmerkmale zu zeigen und eine gute Laune zu haben. Nur so ganz nebenbei, ja, als wäre das angesichts ihres Aussehens, angesichts ihrer physischen Anwesenheit gar nicht mehr bedeutsam, weigert sie sich beharrlich, einen Sinn in den Sätzen zu sehen, die sie zu hören meint. […] ‹Verona› geht nicht ein einziges Mal auf einen Gedanken von ‹Alice› ein. ‹Emanzipation›? Ja wieso das denn? Jeder kann doch tun und lassen, was er will! ‹Frauenbewegung›? Ja wieso das denn? Jeder kann doch tun und lassen, was er will! ‹Vorbildfunktion›? Ja wieso das denn? Jeder kann doch tun und lassen, was er will! ‹Verona› weigert sich überaus erfolgreich, so etwas wie eine Geschichte der Frauen anzuerkennen, eine Entwicklung, eine Bewegung von etwas zu etwas, von einem ‹früher› zu einem ‹heute›. Denn ‹Geschichte› gibt es in der Gesellschaft des Spektakels nicht, nur ein Hier und Jetzt, das im nächsten Moment schon wieder vorbei, aber nicht Geschichte ist.»

«Und ‹Verona› beschwört in einem lichten Moment den schon in dem Essay Abschied von der Eigenbewegung skizzierten Abschied vom homo politicus, indem sie ‹Alice› das Recht bestreitet, für jemand anderen, für ‹die Frauen› sprechen zu dürfen. Denn schließlich kann ja jeder nur für sich sprechen.»


Ja, diese von Helmut Hansen beschriebene spektaklistische Inszenierung dürfte vor vielen Jahren – wie beabsichtigt – ihre Wirkung auf die Zusehenden nicht verfehlt haben. Heute scheint es völlig ungehörig, wenn irgendein Denker über das Leben anderer Menschen nachdenkt, denn das geht ihn nichts an. Jeder Einzelne muß doch selbst am besten wissen, was richtig oder falsch ist. Wir können immer noch nicht ermessen, wie hier mit dem Denken, den ‹Wissenschaften›, der ‹Ethik› und der ‹Rechtsprechung› aufgeräumt wurde. Aber wir erleben es täglich. Und natürlich ist diese endlose Litanei ‹Das muß doch jeder selbst ...› ein schlichtes ‹Unterschicht-Denken›. Aber das sollte uns nicht wundern. Wer sich Jahr für Jahr im Unterschichtenfernsehen aufhält, verfällt der Logik dieses Systems.

Heute können wir nur noch feststellen, daß der Feminismus nicht einmal ein verblaßter Mythos, sondern schlicht tot ist. Junge, konservative Frauen, organisiert in der ‹Jungen Union›, stellen sich vehement gegen eine alte feministische Forderung, die Frauenquote. Sie fühlen sich emanzipiert, sie werfen alle Bedenken über Bord, da sie kein Bedenken kennen. Sie wollen Erfolg haben und sind zu allem bereit. Mindestens aber für die 60-Stunden-Woche.

Da paßt es ganz wunderbar, wenn ein junge, erfolgreiche Frau, die schon mit Roland Koch zusammen das ‹Deutsche› in Hessen erfolgreich schützen konnte und deswegen nun als Quotenfrau dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorsteht, ein Interview gibt, in dem Frauenfragen behandelt werden.

  • Und siehe da: Die vermeintlichen Argumente von ‹Verona› und ‹Kristina› gleichen sich. Klar, die ‹gebildete› und ‹promovierte› Ministerin hat noch einige böse konservative und final-kapitalistische ‹Redeweisen› im Angebot, auf die ‹Verona› nie im Leben gekommen wäre. Aber ansonsten? Welche Symmetrie! Und: Welche Ahnungslosigkeit!
  • Und siehe da! Die bereits erwähnte ‹Alice› nimmt das Interview der Ministerin zum Anlaß, ihr zu bescheinigen, sie sei ein ‹hoffnungsloser Fall›.
  • Und siehe da! Die größte Schmierlappenzeitung unseres Landes öffnet ihre Kloaken-Schleuse und sabbert etwas von einem ‹bizarren Sex-Streit›.

  • So geht das zu, in der ‹Gesellschaft des Spektakels›.

    Falls Sie sich, lieber Leser und liebe Leserin, nun aber in dem vermeintlich eutonisch wirkenden Gedanken einrichten möchten, ‹Verona› und ‹Kristina› wären schlichte Defizitbündel, hätten einen an der Klatsche oder wären nicht ernst zu nehmen, so möchten wir sie streng an die ‹Basics› des ‹Sozialen Konstruktivismus› erinnern:

    Es sind nicht die Personen ‹Verona› und ‹Kristina›, die da sprechen, und die unsere Gegnerinnen werden könnten. Nein, es ist unsere Kultur, die aus ihren Mündern purzelt. Nicht sie sind es also, die zu mißbilligen wären, nein, es ist die Zeit, es ist unsere Kulturepoche, denn sie hat diese Wesen hervor gebracht.



    Erstellt: 18. November 2010 – letzte Überarbeitung: 22. November 2010
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