BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Pólis und Postdemokratie: Ein Nachtrag - Postpolitik und die Medien»
von Henriette Orheim & Albertine Devilder
Als PDF-Datei laden

«Kultur ist Reichtum an Problemen.»
(Egon Friedell)

Pólis und Postdemokratie

In ihrem großen Sammelreferat ‹Pólis und Postdemokratie› haben Albertine Devilder und Henriette Orheim ein vielschichtiges Szenario dessen entworfen, was uns in den nächsten zwei Dekaden erwarten wird. Der Staat wird zu einer buchstäblich leeren Hülle werden, und die Aufgabe des Rest-Staates wird es zum einen sein, die Ungleichheit zu gewährleisten, also
«den armen Teil der Bevölkerung daran zu hindern, den Wohlhabenden das Geld abzunehmen» (Boris Groys),
und zum anderen allen Unternehmenden ihre Unternehmungen zu ermöglichen. Wobei die Gewinne der Unternehmenden privatisiert werden, und die Verluste, die Probleme, die Pleiten von Banken, die Finanzkrisen, die Überschuldungen von allen getragen werden müssen. Das ist alternativlos.

Gleichzeitig werden wir uns vom ‹homo politicus› verabschieden müssen. Von einem postdemokratischen Politiker erwartet man (nicht nur in Bayern), daß er konsequent den Weg vom Gemeinnutzen zum Eigennutzen geht und bereitwillig Aufträge aller Art für das Kapital ausführt, gegen Bezahlung, versteht sich. In unserem Land gilt dies nicht als Korruption.

Interessant ist nun, wie die unterschiedlichen Medien diese Entwicklung begleitend beschreiben. Insbesondere geht es diesem kleinen Nachtrag um ein Phänomen, welches wir derzeit in den letzten verbliebenen seriösen Printmedien beobachtet haben.


Postpolitik

Postdemokratie und Postpolitik hängen eng zusammen. Was ist Postpolitik? Nun, Edna Lemgo & Stefan Bärnwald haben in ihrem kleinen Essay «Zur Fabrikation der Verblödung: Neger mit Pappnasen» ein Buch von Markus Metz & Georg Seeßlen [1] Markus Metz und Georg Seeßlen (2011): Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität. Berlin: Edition Suhrkamp. vorgestellt, dessen Lektüre wir Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, dringend empfehlen. Denn es räumt wie ein Tsunami im sedierten Hirnkasten auf. Und da wir Georg Seeßlen sehr schätzen, lassen wir ihn hier kurz erklären, was Postpolitik sein könnte:
«Postpolitisches Regieren ist eine Methode, das Reden, das Handeln und die Ausübung von Macht vollkommen voneinander zu entkoppeln und im Schatten des öffentlich-medialen Scheins neu zusammenzusetzen. Die Regierung folgt keinem politischen Programm, und was sie sagt, ist nicht, was sie tut. […] Welche Politik sie eigentlich betreibt und für wen, entzieht sich weitgehend der Öffentlichkeit, dafür steht sie unter permanenter „menschlich-moralischer“ Beobachtung.» [2] Georg Seeßlen in der taz vom 20.8.2014, Seite 12.
Postpolitik besteht hauptsächlich aus wohlfeilen Ankündigungen und Verlautbarungen. Ab und zu fliegt oder fährt eine Regierende auch mal mit frisch geföhnten Haaren irgendwohin, selbstverständlich hauptsächlich begleitet von der regierungstreuen und systemrelevanten Schmierlappen- und Prominentenpresse.


Medien

Und über was berichtet diese Presse dann? Das schauen wir uns an, insbesondere, da es immer noch einen mehr oder minder großen Unterschied zu den verbliebenen Qualitätsmedien, wie etwa der Süddeutschen Zeitung, gibt.

In den ordinären Medien, in den Medien fürs Prekariat, in den Illustrierten, die Mächtige und Prominente alltäglich hofieren, geht es darum:
«... Regieren wird an Hosenanzügen, Halsketten oder Handraute verhandelt.» [3] Georg Seeßlen, ebenda.
So ist es, und diese Tatsache haben wir in einem grundlegenden Text zur größten ‹Schmierlappenzeitung› dieses Landes durchdacht. Diese Zeitungen sind nicht der Rede wert.

Interessant ist nun, und damit kommen wir zum Thema dieses Nachtrags, daß die letzten verbliebenden Qualitätsmedien zwar leider oft auch auf dieses postpolitische Niveau sinken, daß sie jedoch auffällig oft sich zu irgendwelchen dringlichen Themen regelmäßig und vorhersehbar in einem ‹hätte, müßte, sollte› ergehen. Klar manchmal vergreifen sie sich auch im Ton und rufen ein «Hier muß die Regierung unverzüglich handeln! Oder: So kann und darf es nicht bleiben!» Hier einige Beispiele:
«Hier hätte die Regierung viel früher reagieren müssen! Hier müßten die Zuständigkeiten dringend neu verteilt werden! Hier müßte dringend nachgebessert werden! etc. etc.»
Unabhängig davon, daß diese konjunktivischen Forderungen am nächsten Tag schon wieder vergessen sein werden, besticht doch der Rest eines am System orientierten Verantwortungsgefühls. Der Duktus eines Veränderungswunsches rührt sehr an ein allgemeines demokratisches Behagen, an einen Gemeinsinn. Es klingt hier nach einem: «Die da oben müßten jetzt mal wirklich dies und das tun, dann wird manches besser!» Nun ja: Das tun sie aber nicht.

Und so ist der sehr ehrenwerte Versuch, jenseits des Geschmieres der Schmierlappenzeitungen, in einer Qualitätszeitung einer passiven Postpolitik dringliche Ratschläge zu geben, leider nichts anderes als eine weitere Stabilisierung des gegenwärtigen Systems. Diese Ratschläge werden vom Medienbrei aufgesogen und wirken letztlich nur affirmativ. Die wenigen Bürger und Bürgerinnen, die noch eine Qualitätszeitung aufschlagen und mit einem Behagen das ‹hätte, müßte, sollte› lesen, werden also auch nur vertröstet mit dem Gedanken, daß sich da schon einige aufrechte Journalisten tatsächlich um unsere Pólis kümmern und nicht nur an den eigenen Oikos denken. Tja. Das beruhigt. Aber mehr auch nicht. Qualitätszeitungen als Tranquilizer? Eine steile These! Gefällt uns!



Ins Netz gestellt am 25. August 2014
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
Alle Rechte vorbehalten.
Bitte senden Sie Ihre Kommentare zu diesem Text per E-Mail
an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.