BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Sexismus? Wo denn? Wieso denn? - Zur Verblödung durch die üblichen Verdächtigen» von Albertine Devilder
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«Es empfiehlt sich, Herren,
die das Angebot einer Zigarre mit dem Satz beantworten:
"Ich sage nicht nein",
sofort totzuschlagen.
Es könnte nämlich sonst der Fall eintreten,
daß sie auf die Frage, wie ihnen eine Frau gefalle,
die Antwort geben:
"Ich bin kein Kostverächter".»
(Karl Kraus)

Einführung

Wie leben in einer ‹Gesellschaft des Spektakels›. Belanglose, nebensächliche Ereignisse, die alle mit dem eigentlichen Lauf der Welt nichts zu tun haben, werden personalisiert, emotionalisiert und skandalisiert. Damit die Sonne über unserer Gesellschaft des Spektakels niemals untergeht, damit immer wieder belanglose, nebensächliche Ereignisse personalisiert, emotionalisiert und skandalisiert werden können, hat unsere Gesellschaft, genauer, haben die Herren des Wörterbuchs, die ohnehin alle denkbaren Situationen voll im Griff haben, den Beruf des ‹Sonnenhüters› erfunden. Sonnenhüter – oder auch Sonnenhüterinnen – sorgen – sehr gut bezahlt – im TV (als ‹Moderatoren›) und in der einschlägigen Müllpresse (als ‹Journalisten›) täglich dafür, daß das Spektakel niemals zu Ende geht und damit alles Uneigentliche im Vordergrund bleibt. Die Sonnenhüter sind die üblichen Verdächtigen, die täglich die Blödmaschine ölen und füttern.

Haben sich die Kulturinsassen erst einmal an das ununterbrochene Spektakel (‹Talkshows›, ‹Casting-Shows›, ‹Ekel-Shows›, Schmierlappenzeitung, Müllpresse) gewöhnt, geben sie der Forderung des Spektakels und der dieses propagierenden Sonnenhüter nach dem unbedingten Gehorsam gegenüber dem Bestehenden nach. In der ‹alternativlosen› Verpflichtung auf das Spektakel machen die Kulturinsassen deutlich, daß sie einverstanden sind. Durch den Konsum spektaklistischen Unsinns zeigen sie ihre Zustimmung, oder anders, mit ihrem Konsum bestätigen sie den status quo. Affirmation in Reinkultur.

Ein Verneinen, ein Sich-Entziehen, ein dem Spektakel entgehen wollen, erscheint allen wehrlos spektakel-süchtigen Kulturinsassen unmöglich, sie meinen, daß das weit über ihre Kräfte gehe. Und sollte sich wirklich einmal jemand entziehen, indem er angesagte TV-Spektakel nicht nur nicht anschaut, sondern verachtet, oder sollten sogenannte Prominente auch nur einmal die unsäglichen Blödeleien eines ‹Moderators› zurückweisen, dann ist die Empörung groß, denn hier verweigert sich jemand der Konsens-Verpflichtung und dem Zustimmungsdruck und versucht gar die über uns leuchtende Sonne des unerkenntlichen Nichts zu verdunkeln. Spektakel-süchtige Kulturinsassen können das gar nicht vertragen, daß hier jemand auftritt und meint, er wäre ‹was besseres› und müsse sich dem belanglosen spektaklistischen Unsinn nicht unterziehen. Das erzeugt Haß, das führt zu groben Beschimpfungen! Klar.

Es verwundert nicht, daß eine auf dem belanglosen Spektakel gegründete Gesellschaft als Postdemokratie daher kommt, und daß Diskurse nicht mehr von politisch denkenden Menschen geführt werden, sondern von Politdarstellern. Alles was geschieht, ist im finalen Kapitalismus alternativlos und dient der Affirmation. Und weil es keine Alternativen gibt, wird ein uneigentliches Spektakel nach dem anderen, wird eine sinnlose Erregung nach der anderen durch die Medien gejagt, und gut ist. Das heißt, alles bleibt, wie es ist.


Sexismus

Taucht also einmal so ein Wort wie ‹Sexismus› in den Medien auf, natürlich nur nach einer hinreichenden Personalisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung, kann dieses Wort zum einen nur im Zusammenhang mit dem ‹Verhalten› eines ‹Prominenten› eine Rolle spielen, denn für den alltäglichen erlebten Sexismus interessiert sich überhaupt niemand. Und zum anderen muß dieses schlimme Wort ‹Sexismus› sogleich in allen einschlägigen Medien und von allen hoch bezahlten Sonnenhütern verwedelt, lächerlich gemacht und ad absurdum geführt werden. In der Postdemokratie kann es keinen Sexismus geben, da doch jeder selbst am besten weiß, was er zu tun oder zu meinen hat. Das kann doch schließlich jeder selbst für sich entscheiden, ob es Sexismus gibt, oder? Nur nebenbei: Daß hier die Möglichkeit einer professionellen oder gar wissenschaftlichen Wissensbeschaffung nicht einmal eingeräumt, sondern gar lächerlich gemacht wird, passt zum derzeitigen Zustand unserer Postdemokratie.

Halten wir für uns nur kurz fest, was wir unter ‹Sexismus› verstehen wollen. Nun, wir denken, daß es bei diesem Wort in aller erster Linie darum geht, diskriminierende, negative Attitüden und diskriminierende, negative Verhaltensweisen von Männern gegenüber Frauen zusammen zu fassen. Männlicher Chauvinismus und Sexismus gehen eng zusammen, ist die Überzeugung von Männern heute doch verstärkt wieder zu beobachten, sich selber hoch und Frauen gering zu achten. Oder anders: Chauvinisten glauben, alleine aufgrund ihres biologischen Geschlechtes eine Dominanz, eine Vor'herr'schaft, eine Vorrangstellung, eine Superiorität gegenüber Frauen zu haben. Daß Frauen gesellschaftlich benachteiligt werden (Lohn, Beruf etc.), ist in den Augen von Chauvinisten aufgrund des biologischen Geschlechtes gerechtfertigt. Und eines ist ganz klar: Gender-Diskussionen lassen diese Chauvinisten nicht gelten. Sie kennen nur die Reduktion auf die Biologie. Wir kommen darauf zurück.


Geschlechterdifferenz

Schauen wir uns zunächst einmal an, auf welchem Niveau heute Geschlechterdifferenzen verhandelt werden. Der Feminismus, also der Gedanke oder die Hoffnung, daß in einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur mit Männern und Frauen in einer gleichen Weise umgegangen werde und daß Männern und Frauen die gleichen ‹gesellschaftlichen Rechte› eingeräumt werden, ist ein verblasster Mythos. Wenn wir uns öffentliche Diskurse anhören oder ansehen, werden wir entsetzt sein. Ich habe diese Bestürzung in meinem kleinen Essay mit dem Titel ‹Verona und Kristina reden über den Feminismus› skizziert.

Eine junge, ‹erfolgreiche Frau›, die schon mit Roland Koch zusammen das ‹Deutsche› in Hessen erfolgreich schützen konnte und deswegen nun als Quotenfrau dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorsteht, die gegen eine Frauenquote ist, vom ‹Feminismus› gar nichts hält, mit Simone de Beauvoir überhaupt nicht einverstanden ist und den Unterschied zwischen ‹Sex› und ‹Gender› negiert, was erwarten wir von dieser Frau?

Und bitte, liebe Leserin und lieber Leser, machen Sie nicht den Fehler der ‹Sonnenhüter› und personalisieren Sie die intellektuellen Einbrüche dieser üblichen Verdächtigen. Es sind nicht die Personen, die da sprechen, und die unsere Gegnerinnen werden könnten. Nein, es ist unsere Kultur, die aus ihren Mündern purzelt. Nicht sie sind es also, die zu mißbilligen wären, nein, es ist die Zeit, es ist unsere Kulturepoche, denn sie hat diese Wesen hervor gebracht.

Nur zur Erinnerung, und um einer allfälligen Verblödung vorzubeugen, skizzieren wir, was einmal – vor der biologistischen Wende – im Denken möglich war. Wir zitieren in aller Bescheidenheit die zwei großen Erzählungen über die Geschlechterdifferenz herbei. Schauen Sie sich den Grundkurs an, dann das ‹Erbe der modernen Erzählung›, und schließlich das ‹Versprechen der postmodernen Erzählung›. Jetzt sind Sie, sind wir gewappnet. Wir halten – für uns – die Blödmaschine an.

Leider ist von dem Versprechen dieser postmodernen Erzählung, von der Erhellung aller Diskurse durch Gender-Themen, in unseren Zeiten nichts mehr zu spüren. Da es in der final-kapitalistischen Spätmoderne keine sozialen Unterschiede geben darf, schließlich ist ‹Wohlstand› für alle da, oder anders, schließlich muß jeder selbst über seinen Wohlstand entscheiden, müssen offensichtliche Unterschiede in der Lebensbewältigung auf die einzelne Person attribuiert werden und am besten und einfachsten ist es, hier biologistische Ausstattungsunterschiede zu behaupten. Das ist die Rückkehr zum Biologismus in der reinsten Form, und Dank der Hirnforschung ist das auch die Rückkehr zu einem schlichten Denken.

Noch einmal: Das Versprechen der postmodernen Erzählung über die Geschlechterdifferenz ist nicht eingelöst worden. Die postmoderne Erzählung ist durch spätmoderne Behauptungen überschrieben worden. Gender Studies werden veralbert. Die Geschlechterdifferenz wird auf das biologische reduziert. Ende.


Sexismus und Verblödung

Am Beispiel der relativ kurz aufflackernden Erregung über das Wort ‹Sexismus› halten wir zum Schluß fest, wie die Verblödung durch die üblichen Verdächtigen inszeniert wird.

Da die größte Schmierlappenzeitung dieses Landes täglich unbekleidete Frauen zur Betrachtung durch männliche Augen ausstellt, muß sie Feministinnen, die das Wort ‹Sexismus› verwenden, aus ihrer eigenen schändlichen Logik heraus verspotten und ins schlechte Licht rücken. Wobei sie selbstredend auch deutlich macht, daß sie mit den bizarren Ansichten einer Simone de Beauvoir gar nichts anfangen kann. Alle für den Niedergang unserer Kultur wesentlichen Zeitungen beteiligen sich. Mit einer Ausnahme.

In zahlreichen Talkshows wird das Thema aufgegriffen, allerdings nur, weil – wie oben bereits erwähnt – eine vermeintlich prominente Person mit dem Wort ‹Sexismus› in Verbindung gebracht wird. Während der Show wird das Thema zerredet und Frauen, die sich über Sexismus beschweren, werden verspottet. Bedeutsam ist, daß in den ‹Argumentationen› zwischen Sex und Gender nicht unterschieden werden kann. Das Diskursniveau entspricht dem von 10-jährigen Knaben.

Ganz wichtig ist darüber hinaus die Einlösung eines uralten Gesetzes der Sozialpsychologie: Zu einem bestimmten Zeitpunkt der erregten Debatte fallen Angehörige der Gruppe, die sich beklagt, dieser in den Rücken und stellen die Vorwürfe in Abrede. Konkret: Es treten – natürlich ‹prominente› – Frauen auf und bestreiten die Wichtigkeit des Begriffs ‹Sexismus›. Das geht etwa so:
  • «Sexismus? Wo denn? Wieso denn? So ein Quatsch! Wenn mich jemand anmacht, dann kriegte der eine gehörige Antwort und Schluß.»
  • Sehr passend ist auch dies: Da tritt eine schon ältere und erfahrene Frau auf und erklärt der Welt im TV, Männer seien nun einmal so, die könnten nicht anders als sich eben so zu verhalten, und es sei überhaupt nicht ‹zielführend›, hier das Wort ‹Sexismus› zu debattieren. Biologismus pur. Aussichtslos.
  • Natürlich treten auch sabbernde ältere Männer auf und vertreten die Meinung, man dürfte doch schließlich einer Frau auf die Brust schauen und ihr diesbezüglich Komplimente machen. Das gibt im handverlesenen Publikum der jeweiligen Talkshow naturgemäß den begeistertsten Beifall. Denn auf diesem Niveau des jeden Gedanken verspottenden ‹Unterschichtfernsehens› verharren wir zu Zeit.

    Ganz schlimm nun aber zeigt sich der Entwicklungsstand unserer Kultur in den hunderten von Kommentaren auf den einschlägigen Kommentarseiten der einschlägigen Müllpresse. Was den Männern hier aus dem Mund purzelt, läßt sich nicht wiederholen: Es ist geistlos, schamlos und vor allem: völlig uninformiert. Aber woher sollten sie auch irgendwelche ‹Informationen› bekommen? Ja, woher? Wer erlöst diese Männer? Niemand mehr.


    Finale

    Wenn wir den erregten und schnell wieder verrauschten Diskurs um Sexismus als Prototyp nehmen für Diskurse aller Art in unserer spektaklistischen Kultur, und das müssen wir, zeigt sich, wie wenig wir weiter gekommen sind. In der Spätmoderne funktioniert die permanente Verblödung durch die üblichen Verdächtigen bestens. Bis auf einige wenige ganz großartige Blogs im Internet – nicht nur zur Geschlechterdifferenz – bleibt die träge Masse der Meinenden in uralten Klischees verhaftet und feiert gar noch seinen immer wieder stolz präsentierten Status der Ignoranz.

    Finis.



    Ins Netz gestellt am 2. April 2013
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