BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Zur Exkulpation eines rezenten ‹Steuersünders›»
von Henriette Orheim & Albertine Devilder
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«Das Delikt eines Kavaliers kann nur ein Kavaliersdelikt sein!»
(Volksweisheit)

Einführung

Liebe Leserinnen und Leser, erinnern Sie sich an unseren Essay über die vehementen und oft unglaublichen Versuche, ein junges, adliges, politisches Idol, das doch in seiner ‹Doktorarbeit› ‹nur ein bißchen geschummelt hatte›, zu exkulpieren? Ja? Toll. Wir sind in der Redaktion immer noch beeindruckt, welche Welle der Empörung damals durch das Internet rauschte.
«In den Internet-Blogs kochte die Diskussion hoch. Jede Talkshow behandelte das Thema. Zeitungsredakteure berichteten von einer beispiellosen Welle des Volkszorns und Abonnementskündigungen; Wissenschaftler fanden höhnische Nachrichten in der Mailbox oder erhielten wutschnaubende Briefe auf Karopapier von Absendern, die sonst nie die Distanz zur Universität überwunden hätten.» [1] Oliver Lepsius & Reinhart Meyer-Kalkus (Hrg.) (2011): Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg. Berlin: Suhrkamp Verlag. Seite 7.
Die Faszination lag wohl darin, daß sich viele Leute – aus bestimmten sozialen Räumen – sich dieses junge, adlige, politische Idol, welches sich so wunderbar inszenieren konnte und vom ‹Boulevard› geliebt wurde, nicht nehmen lassen wollten. «Er macht doch einen guten Job!», hieß es immer wieder, wobei keiner wußte, was das Idol genau nun gut oder weniger gut gemacht hatte, außer einem guten Eindruck. Und viele Leute aus anderen sozialen Räumen waren entsetzt über diesen dreisten und betrügerischen Plagiator. Das genau war damals die tiefe und hoch interessante Spaltung in unserer Kultur:
«Und die beiden sozialen Räume ließen sich ja so klar beschreiben: Auf der einen Seite Menschen, die dem Privat-TV als Unterschichten-Fernsehen und der größten Schmierlappen- und Kloakenzeitung dieses Landes vertrauen, als sekundäre Analphabeten von wissenschaftlicher Arbeit keine Ahnung haben, aber glauben, diese bewerten zu dürfen, und die sich vor allem ein von ihnen bewundertes Idol schlicht nicht nehmen lassen wollen. Und auf der anderen Seite das Bürgertum, welches den Eindruck gewann, daß seine Anstrengungen wissenschaftlicher Art im allgemeinen und politischen Diskurs eine ‹quantité négligeable› seien, daß im öffentlichen Raum andere Qualitäten eine Rolle spielten, und daß ein ‹Betrüger› im wissenschaftlichen Metier ein ‹guter› Politiker sein könne. Da war das Bürgertum […] aber so was von empört! Zigtausend Doktoranden, bürgerliche Geistesarbeiter und Intellektuelle sowie tausende Lehrstuhlinhaber fühlten sich von der politischen Klasse verachtet und brachten das in verschiedenen Eingaben anmutig zum Ausdruck.» (Siehe Henriette Orheim & Albertine Devilder, 2011, Seite 1.)
Wir haben damals im Rahmen einer Wirklichkeitsprüfung 17 ‹Argumente› sammeln können, die den massiven Betrug in einer Dissertation und die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung verharmlosen sollten. Einige dieser ‹Argumente› tauchen, wie wir sehen werden, auch in unserem Fall auf. Schauen wir mal, wie viele trennscharfe ‹Argumente› wir dieses Mal finden.


Der aktuelle Fall

Um was geht es? Um Steuerhinterziehung, um Steuerbetrug. Ein prominenter und offensichtlich sehr vermögender Unternehmer und Präsident eines Fußballvereins hat einige Millionen an Steuern hinterzogen und sich selbst angezeigt. Details sind uninteressant und unwichtig.


Zur Exkulpation eines rezenten ‹Steuersünders›

Beginnen wir mit der Sammlung von ‹Argumenten› aus verschiedenen Internetforen [2] Wir haben die im folgenden ausgestellten Zitate redaktionell nur ganz behutsam und bei sehr gravierenden Rechtschreibungs- und Grammatikfehlern überarbeitet. Denn wir sind für Authentizität., hauptsächlich aber basierend auf den Kommentaren, die im Online-Forum derjenigen Zeitung veröffentlicht wurden, die von denen gelesen wird, denen die Bundesrepublik gehört. Alle folgenden ‹Argumente› sollen den prominenten ‹Steuersünder› entlasten und entschuldigen.


1. Argument: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!

«Ich wage die These, dass die Mehrheit der Leute in Deutschland, die nun mit dem Mahnfinger auf ihn zeigen, auch schon Steuern hinterzogen haben. Sei es durch Schwarzarbeit, sei es bei der Motorfahrzeugsteuer, sei es bei der ordentlichen Steuer.»

«Wer im Glashaus sitzt, sollte deshalb nicht mit Steinen werfen.»

«Jeder hat eine Leiche im Keller, kennen Sie das Sprichwort? Es gab bisher niemanden in meinem Leben, auf den das nicht auf die ein oder andere Weise zugetroffen hat. Aber Steuersünder sind halt schlimmer zu bewerten als welche die ihre Frau schlagen, weil sie angeblich die Allgemeinheit betrügen, dabei bekommen Politiker lediglich weniger Geld für ihre zum Teil unsinnigen Ausgaben.»

«Wer jetzt über Herrn X herzieht sollte sich fragen, ob wir anderen wirklich besser sind? Büromaterial aus der Firma "mitgehen lassen" Krankschreiben lassen um Privates zu erledigen. Fremdgehen! Steuer "beschummeln" und andere Kleinigkeiten. In den Spiegel schauen und Selbstanalyse!!!»


2. Argument: Der hat wenigstens was geleistet und schon viele Steuern gezahlt!

«Die Leute leisten aber was, das ist der Unterschied.»

«Herr X hat alleine in den letzten 3 Jahren 50 Millionen Steuern bezahlt.»

«Aber ist er nicht ein Leistungsträger in Deutschland einen Haftbefehl zu erlassen ist meiner Ansicht nach der absolute Hohn. Leute die ihre Kinder verhungern ließen oder ermordet haben die lässt man laufen!!!»

«Hier gab es einen Haftbefehl und einen Überfall ins private Heim, also einen massiven staatlichen Eingriff in die individuelle Freiheit, die Grundrechte und das Privatleben eines Menschen, der einige Ungenauigkeiten bei der Steuererklärung an den Tag gelegt hat und ansonsten ein wichtiger Leistungsträger in unserer Gesellschaft ist. Wenn man sich x-beliebige Lokalzeitungen anschaut, sieht man, wie Menschen, die sich allerorten direkt mit Gewalt, Einbrüchen und anderen Gefährdungen der friedlichen Bevölkerung antisozial verhalten, vergleichsweise mit Samthandschuhen angefasst werden. Da fällt erst auf, mit welchen Neid- und Haudrauf-Motiven gegen Herrn X vorgegangen wird, der wegen eines Kavaliersdelikts seiner Persönlichkeitsrechte beraubt wird.»

«Wenn diese Roten und Grünen, in Form von den Herren Poss und Trittin, nun meinen, über Herrn X so schäbig herziehen zu müssen, so bin ich der Meinung, dass Herr X in den letzten Jahrzehnten mehr für Deutschland geleistet hat und dadurch vielmehr Steuern gezahlt, als die Obengenannten zusammen.»


3. Argument: Die Verfehlungen anderer Leute sind doch viel schlimmer!

«Warum soll denn Steuerhinterziehung schlimmer sein wie Hartz4 Betrug? Hartz4 Betrüger betrügen den Steuerzahler 2 Fach. 1. Könnte er arbeiten gehen, tut es einfach nicht. Somit könnte er mehr Steuern zahlen. und 2. Er bezieht unrechtmässig Steuergeld.»

«Es ist eine Schande wie "Journalisten" und "Politiker" Herrn X öffentlich herab würdigen. Eine Liste der "Vergehen" von Politikern würde den Rahmen hier sprengen, aber da haben die Heuchler und Doppelmoralisten ja immer tolle Ausreden: Gas-Gerd, Kokain- und Prostituiertenaffäre von Friedmann, "Nebenerwerb" von Steinbrück, Özdemir Vorteilsnahme, Roth soll eine Schusswaffe in der Handtasche haben weigert sich aber aufgrund Ihrer Immunität das kontrollieren zu lassen, Joschka Fischers Steinewerfervergangenheit, Steinkühler Aktiengeschäfte, Bsirskes 1 Klasse Flüge usw.»


4. Argument: Hier wird jemand an den Pranger gestellt!

«Kommt hinzu, dass Herr X richtiggehend an den Pranger gestellt wird, was im Prinzip schon eine viel grössere Strafe darstellt als jede gerichtliche Verurteilung.»

«Ich bin auch enttäuscht von ihm, aber an der jetzt stattfindenden Hetzjagd beteilige ich mich nicht.»

«Die zynische Häme hier finde ich ätzend. Gier ist genauso krankhaft wie Neid.»

«Die perfiden Nachkommen des “Tätervolkes” lüstern nach dem Scheiterhaufen.»

«Wer will sich denn hier wichtiger machen als er in der Gesellschaft ist oder soll Herr X, wie auch in anderen Fällen mit prominenten Personen schon geschehen, durch gezielte Indiskretionen sukzessive "fertig" gemacht werden. Steuerhinterziehung ist eine schwerwiegende Sache, aber die jetzt beginnende "Hexenjagd" ist unwürdig, verachtenswert und wirft ein schlechtes Licht auf diejenigen die der Gerechtigkeit dienen wollen.»

«Grausig allein ist dieser biedersinnig, moralinsaure Empörungsschmalz, der da hochkocht.»


5. Argument: Warum sollte es asozial sein, sich asozialem Treiben der Politik zu verweigern?

«Soziales Verhalten muss auch eine Grundlage in der Gesellschaft haben. Das ist in bzgl. Finanzen und Steuern nicht mehr gegeben. Es ist nicht nur asozial, sondern kriminell, wenn Politiker gegen die Verfassung mehr ausgeben als sie einnehmen. Das aber ist seit 40 Jahren die Regel.»

«Hätte der Staat eine blütenreine Weste, hätte der Bürger ebenfalls eine solche. Aber da sich der Staat selten korrekt verhält, provoziert er ein Klima nach dem Motto Gauner gegen Gauner. Der Staat blitzt, spioniert und hehlt, der Bürger versucht sich nicht erwischen zu lassen, das gilt im Straßenverkehr und in der Wirtschaft.»

«Was mir jedoch in der laufenden Debatte sauer aufstößt, ist die die einseitige, sogar sehr drastische Verurteilung eines Steuerhinterziehers ("asozial"), aber selten angesprochene eine Hinterfragung der Ausgabeseite. Meiner Meinung muß sich auch der Staat rechtfertigen für das Geld, daß er seinen Bürgern abnimmt.»

«Für Steuerhinterziehung werden weitere Verschärfungen des Strafrechtes gefordert, aber eine Amtshaftung für öffentliche Bedienstete bei Haushaltsuntreue wird nicht eingeführt und totgeschwiegen in der gerade geführten Diskussion.»

«Am schlimmsten sind aber die Politiker, Beamten und Finanzminister, die in den letzten Jahren Steuerbetrug in Höhe von mehr als 12 Milliarden Euro gesetzlich ermöglicht und danach nichts dagegen unternommen haben. Die sollte man zuerst mal vor Gericht bringen.»

«Verräterisch ist die motivierte Entrüstung der politischen Akteure von Grün bis Rot und Schwarz um davon abzulenken, daß sie allesamt Weltmeister sind, Billionen von Schulden zu produzieren zu Lasten unserer Kinder und Enkeln. Das ist ungeheure Verbrechen, das das Volk auf die Barrikaden treiben muß! Was kümmert die Zockerei eines Herrn X!»

«Es ist nicht einzusehen, daß der Staat unter Androhung erheblicher Repressionen das Eigentum seiner Bürger (=Geld) einfordert, aber er selbst beim Ausgeben möglichst wenig Kontrolle und Haftung unterliegen möchte.»

«Einer der Fehler erkennt und mit Selbstanzeige reagiert, unterscheidet sich doch erheblich von Politikern und Staatsdienern aller Couleur, die jährlich das Schwarzbuch der Steuerverschwendung füllen, die immer noch Steuergelder rauspulvern, obwohl deren Haushalt es nicht mehr zu leisten vermag, die verfassungswidrige Haushalte aufstellen, die als Abgeordnete nicht ihrem Gewissen folgen, sondern der Parteivorgabe. Asozial und verantwortungslos ist das.»

«Wer zockt denn mit unseren Steuergeldern? Ich nenne drei Namen: Steinbrück, Trittin und Claudia! - Sehr geehrter Herr Bundespräsident, ist das sozial?»

«Natürlich hat das etwas miteinander zu tun. Gegen Steuerverschwendung und Kapitalvernichtung in Billionenhöhe wird nichts unternommen, dagegen scheut der Staat keinen Aufwand und auch nicht vor kriminellen Handlungen zurück, um Steuersünder weltweit zu verfolgen. Die Mehreinnahmen fließen dann wieder umgehend in die Steuergeldverschwendung.»

«So sollten sie besser mit den Politikern und Beamten umgehen, die seit Jahrzehnten Billionen an Steuergeldern vergeuden und mittlerweile das gesamte Vermögen der deutschen Bürger vernichten. Bis heute wurde dagegen nichts unternommen, im Gegenteil die Vergeudung und Vernichtung nehmen von Tag zu Tag zu. Solange diese Missstände nicht angegangen werden, ist jede Art und Weise der Steuerhinterziehung legitim.»

«Öffentliche Schulden von gestern haben riesige private Vermögen geschaffen wurden, die erst heute durch Steuern gedeckt werden sollen. Dafür sind Steuereinnahmen verfassungsrechtlich nicht da! Warum also sollte es asozial sein, sich asozialem Treiben der Politik zu verweigern?»


6. Argument: Und was ist mit der Verschwendung von Geldern für Europa?

«Angesichts des Aufwands zur Rettung "Resteuropas", sowie der horrenden Kosten zur Realisierung einer unrealisierbaren "Energiewende", fragt man sich schon, ob das Geld von Herrn X, wie auch die unversteuerten Erträge daraus, tatsächlich nicht besser in der Schweiz aufgehoben waren.»

«Ich würde mir wünschen, auch einmal Berichte über die ständigen Steuerverschwendungen und Rechtsbrüche in der EU zu lesen.»

«Das Eigentum des Volkes wird gegen seinen Willen ins Ausland verschleudert!»

«Mit der grünen Gießkanne über das korrupte Griechenland fahren kann ja jeder.»

«Was haben wir von den Millionen des Herrn X? Nichts! Die werden sofort von unserem aufgeblasenen Staatsapparat phagozytiert, noch bevor sie das Licht vor der Schweizer Bank erblicken, um dann sofort in die nächsten dunklen Kanäle (z. B. Griechenland, Zypern, HRE und wie sie alle heißen) wieder zu verschwinden.»


7. Argument: Nicht das Verhalten von Herrn X ist "skandalös", sondern die Höhe der Steuern und Abgaben!

«Steuerhinterziehung ist doch nur Notwehr gegenüber einem gierigen Staat!»


8. Argument: Er hat einen Fehler gemacht, aber er ist ein guter Mensch!

«In der Summe aller Argumente komme ich zum Schluss, dass Herr X zwar einen grossen Fehler gemacht hat, unter dem Strich jedoch weiterhin zu den “moralischsten” und integersten Personen in Deutschland gehört. Deshalb kann er auch im Amt bleiben.»

«Unentdeckt hätte Herr X vielleicht sogar mal diesen oder jenen Betrag für gute Zwecke gespendet.»


9. Argument: Gibt es nichts wichtigeres auf der Welt?

«Langsam reicht es, als gäbe es keine anderen Themen.»


10. Argument: Das ist ein Ablenkungsmanöver der Grünen!

«Und schon ist der arme gebeutelte Daniel Cohn-Bendit aus der Schußlinie. Was für ein Glück für die Grünen!»


11. Argument: Das ist doch nur Neid!

«Die Zu-Kurz-Gekommenen finden endlich ein Ventil für ihre Frustrationen, die SPD springt natürlich gerne in die Bresche und bewirtschaftet den Neid. Ochlokratie eben.»


12. Argument: Niemand kam zu Schaden!

«Der Mann hat Mist gebaut. Na, und? Wen von den Leuten, die jetzt die moralinsaure Peitsche schwingen, hat er geschädigt?»


13. Argument: Ziviler Ungehorsam ist wichtig!

«Ein bisschen ziviler Ungehorsam ist besser als Kadaver Ergebenheit!»

«Das Wandeln am Rande des Erlaubten gehört nun einmal zur Realität im komplexen Spiel der Kräfte einer offenen Gesellschaft. Vollständiger Gehorsam voll überwachter Einzelner gegenüber dem Staat ist das Kennzeichen totalitärer, nicht demokratischer Gesellschaften.»

«Dabei gehören die kleinen und größeren Schummeleien gegenüber dem Staat nicht nur zum Alltag, sondern sogar zu den Voraussetzungen für das Funktionieren eines freien Gemeinwesens.»


14. Argument: Den skrupellosen Informanten muß das Handwerk gelegt werden!

«Haben wir es wirklich nötig, daß Journalisten dank skrupelloser Informanten Skandale aufdecken, aufgrund derer Steuerflüchtlingen das Handwerk gelegt wird? Müssen wir Geheimnisverrat und Hehlerei als legitime Mittel der Ahndung von Straftaten akzeptieren? Ist das der Rechtsstaat, den wir mit allen Mitteln verteidigen wollen? Oder ein Offenbarungseid. Die wahre Macht im Lande sind Geheimnisverräter, Hehler und deren Organe. Das ist schon traurig.»


Schlußwort

Wir möchten zum Schluß nicht auf besonders unsinnige oder besser blödsinnige ‹Argumente› verweisen. Die finden Sie schon selbst, verehrte Leser und Leserinnen. Nur dies: Es fällt schon sehr auf, welche ‹Argumentation› am häufigsten und gewichtigsten zu beobachten ist. Wir kennen diese Meinungen von der Tea-Party in den USA: Der Staat könne angeblich nicht vernünftig mit Steuergeldern umgehen, deswegen sei es legitim, ihm Steuern zu verweigern. Auf die Kurzsichtigkeit, besser noch, auf das Zyklopische dieser ‹Argumentation› brauchen wir hier nicht einzugehen.

Viel spannender ist dies: Tief in unserer final-kapitalistischen Gesellschaft ist verankert, daß der ‹gesunde› Menschenverstand nur äußerst ungern Steuern an den Staat, in dem er lebt und arbeitet, zahlt. Buchstäblich fast alle Kulturinsassen versuchen, so wenig Steuern zu zahlen, wie möglich, bei gleichzeitiger Inanspruchnahme aller gesellschaftlicher Ressourcen. Klar, wer nur wenig Steuern zahlt, hat wenig Chancen, das zu veranstalten, was Leute, die viel Steuern zahlen müßten, ‹Steuergestaltung› nennen.

Steuerbetrüger und Steuerhinterzieher, Kriminelle also, nennt man im christlichen Deutschland ‹Steuersünder›. Denn Steuerhinterziehung ist in unserer Kultur offensichtlich ein Kavaliersdelikt. Und das Delikt eines Kavaliers kann ja nur ein Kavaliersdelikt, also eine kleine lässliche Sünde sein, die schnell vergeben werden sollte, vor allem, wenn der ‹Sünder› vor Gott ein ‹guter Mensch› ist. Dazu kommt das im deutschen Strafrecht einmalige Konzept, daß ein Steuerbetrüger bei einer Selbstanzeige straffrei ausgeht. Noch einmal: Nur ein Steuerbetrüger bleibt bei einer Selbstanzeige straffrei. Kein anderer Betrüger, kein Dieb, kein Mörder. Das macht schon alleine deutlich, daß Steuerhinterziehung etwas alltägliches ist, das nicht so negativ bewertet werden sollte.

Das ist aber noch nicht alles: Besonders bemerkenswert ist das Desinteresse christlicher Regierungen, gegen Steuerbetrüger vorzugehen. Im Bund hat ein christlicher Finanzminister längere Zeit versucht, ein Abkommen mit dem ‹Steuerparadies› Schweiz so hinzukriegen, daß Steuerbetrüger anonym bleiben konnten. Christliche Politiker weigern sich auch, Verzeichnisse mit Steuerbetrügern entgegen zu nehmen. In Hessen, das von einer christlichen Landesregierung geführt wird, gibt es den wunderschönen Fall der Psychiatrisierung von vier Finanzbeamten, die etwas genauer die Steuerhinterziehung reicher ›Landeskinder› untersuchen wollten.

Und im ganz und gar christlich geführten Bayern gibt es den großartigen Fall der Zwangspsychiatrisierung eines Bürgers, der auf massive Geldverschiebungen prominenter Landeskinder in die Schweiz hinwies. Wenn wir uns überlegen, wie zynisch eine christlichen Werten verpflichtete Staatsmacht und eine an den hippokratischen Eid gebundene Psychiatrie beim Schützen von Steuerbetrügern ganz unheilvoll zusammen arbeiten, kann uns mulmig werden.

Ist das alles? Ja.



Ins Netz gestellt am 7. Mai 2013
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