BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Zur Sozialen Konstruktion einer ‹Maut für Ausländer›»
von Albertine Devilder
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«Es ist eine schreckliche Situation,
dazuliegen,
wenn die Pferdehufe der Dummheit
über einen hinweggegangen sind,
und weit und breit keine Hilfe.»
(Karl Kraus)

Einführung

Die von Bundestag und Bundesrat beschlossene ‹Maut für Ausländer›, die naturgemäß aber nicht so benannt werden darf, ist ein Musterbeispiel für das Versagen bundesdeutscher Politik. Da jeder einigermaßen vernünftige Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, versteht, daß diese ‹Maut für Ausländer› dem EU-Recht in eklatanter Weise widerspricht, da sie Angehörige anderer EU-Staaten diskriminiert, ist es unerklärlich, warum niemand versucht hat, dieses sinnlose bürokratische Monstrum aufzuhalten. Wie konnte es dazu kommen? Wir müssen der sozialen Konstruktion dieser Farce nachspüren.


Der Soziale Raum

Nun, entstanden ist die Idee, Ausländern Geld abzuknöpfen, wenn sie deutsche Autobahnen benutzen, naturgemäß in dem Bundesland, in dem nach allen einschlägigen Untersuchungen die Fremdenfeindlichkeit, der Antisemitismus und der Hass auf Ausländer besonders groß und besonders weit verbreitet ist. Da die christliche Partei, die dieses Land immer regieren wird, das Ohr ganz nahe an den Menschen hat, die morgens zum Frühstück Weißwürste essen und dazu zwei Maß Bier trinken, spürt sie sofort, wenn die Botschaft aus der Tiefe des Volkes aufsteigen sollte, daß man mal wieder etwas gegen Ausländer tun könnte oder müßte. [1] Wie schön hat das doch damals der Ministerpräsident eines christlich regierten Bundeslandes gemacht, als er eine Initiative gegen den Doppelpass für Ausländer startete, und die Leute begeistert zu den amtlichen Stellen liefen und fragten: «Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?» Die folgende Wahl war damit gewonnen.

Unglückseligerweise ist die christliche Partei, die dieses Bundesland immer regieren wird, auch in der Bundesregierung vertreten und hat in den Koalitionsverhandlungen darauf gedrungen, eine ‹Maut für Ausländer› einzuführen, denn «Der Wähler will es nunmal so.» (Originalton) Und seltsamerweise haben die anderen an der Regierung beteiligten Parteien nachgegeben.


Die Argumentation

Lieber Leser, liebe Leserin, schauen Sie sich doch bitte das obige Motto an, welches dieses Traktätchen in angemessener Weise einleitet. Und dann fragen Sie sich, mit welcher Argumentation Wähler, die etwas gegen Ausländer haben, beim Thema Maut zufrieden zu stellen sein könnten. Nun, das ist einfach, die christlichen Politiker, die sich für eine ‹Maut für Ausländer› einsetzen, sagen nicht die Wahrheit, oder nur die halbe Wahrheit. Und zwar so lange, bis es niemandem mehr auffällt.

In den tausenden Kommentaren zu Artikeln in den einschlägigen Medien weist nur etwa jeder hundertste auf diese halbe Wahrheit hin. Und dabei ist sie entscheidend. Die Argumentation für das Wahlvolk vollzieht sich nach diesem Muster:
«Also, wenn ich nach Italien fahre, zahle ich oben im Norden schon 80 Euro, und wenn ich weiter nach Süden fahre, noch mehr. Und die Italiener, die über unsere Autobahnen fahren, zahlen gar nichts. So geht das nicht!»
Das grenzenlos Dumme, das Perfide, das wirklich haltlos Ekelhafte an dieser Argumentation ist natürlich, daß sie auf eine gewisse Weise wahr und auf eine gewisse Weise falsch ist. Wahr ist genau das, was oben gesagt wird. Aber was nicht gesagt wird, und das ist das Entscheidende, ist, daß eben in Italien oder sonstwo jeder Benutzer einer Autobahn eine Mautgebühr zahlen muß, der Einheimische wie auch der ‹Ausländer›. Und da es in Deutschland keine Benutzungsgebühr für PKW auf den Autobahnen gibt, zahlt eben auch keiner, weder der Einheimische, noch der Ausländer. Aber dies dem durchschnittlichen christlichen Wähler im Bierzelt zu erklären, daß in anderen EU-Ländern eben alle eine Maut zahlen, Inländer und Ausländer, ist vermutlich viel zu kompliziert. Also wird dieses Detail weg gelassen.

Die Maut auf Autobahnen ist also in allen Ländern der EU - natürlich auch in Norwegen oder sonstwo - völlig diskriminierungsfrei. Wer eine bestimmte Straße benutzen möchten, zahlt dafür, unabhängig aus welchem EU-Land er kommt. Wie nun dieses Faktum durch ununterbrochenes Nichterwähnen, durch ein Auslassen tatsächlich fast völlig vergessen werden kann und wird, das ist ein Meisterwerk christlicher Demagogie. Man schaue sich nur die einschlägigen Forenbeiträge an, da heißt es immer wieder «Also wenn ich nach Portugal fahre, dann kostet mich das usw. usw. Und die fahren bei uns umsonst usw. usw.» Es ist das Grauen, es ist das Einbrechen jeder Vernunft, es ist die Dummheit in all ihrer Häßlichkeit. So funktioniert also die soziale Konstruktion einer ‹Maut für Ausländer›.


Finale

Es sollte noch erwähnt werden, daß der Bundesrat, entgegen vorherigen Ankündigungen, überraschend der ‹Maut für Ausländer› zugestimmt hat. Bei näherem Hinsehen zeigte es sich, daß einige Bundesländer mit Milliarden-Versprechungen des christlichen Verkehrsministers gekauft wurden. Das ist natürlich keine Korruption, sondern Sachpolitik.

Der ganze Fall zeigt, was geschieht, wenn die ausländerfeindliche Prinzipienreiterei einer christlichen Regionalpartei zur Realität wird. Und er zeigt, wie dysfunktional unsere Demokratie inzwischen geworden ist. Sämtliche legislativen Schutzmechanismen haben in diesem Fall versagt. Keiner konnte oder wollte dieses Gesetz verhindern. Die Eitelkeit und Ausländerfeindlichkeit einer Handvoll christlicher Politiker hat sich gegen jede Vernunft durchgesetzt. Und wie wir oben beschrieben haben, war die entscheidende Argumentation unehrenhaft, aber politisch schlau.

Selbst wenn die EU dieses Ausländer diskriminierende Gesetz durchwinken sollte, ist diese Angelegenheit noch nicht zu Ende. Es wäre sehr zu wünschen, daß dann alle anderen Staaten der EU eine spezielle Maut-Gebühr exklusiv nur für deutsche Autofahrer erheben würden. Und die Windschutzscheiben wären dann mit den diversen Maut-Aufklebern zugeklebt. Ach, wäre das schön!



Ins Netz gestellt am 21. Mai 2015
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