BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Bring! mir Deine Daten! Oder: ‹Datenschutz› 2016»
von Helmut Hansen
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«Herzlich willkommen bei Bring!
Wir freuen uns sehr, dich bei uns zu haben.»
(Begrüßungs-Mail)

Datenschutz?

Gibt es etwas, was noch uncooler ist als das Wort ‹Datenschutz›? Vermutlich nicht. Datenschutz interessiert praktisch überhaupt niemanden, außer ein paar Nerds oder ‹Gutmenschen›. Heute gibt ein jeder und eine jede freiwillig alle persönlichen Daten auf den dafür eingerichteten Sozial-Portalen preis.

Die jüngeren Kulturinsassen verschenken dabei brav ihre Daten und gar Fotos von sich, und die älteren meinen, mit ihren ‹Payback-Karten› ein gutes Geschäft zu machen, ohne daran zu denken, daß die großen Discounter und viele andere Firmen gemeinsam alles über ihre Einkäufe wissen. Damit sind wir beim Thema.


Einkäufe

Die Frage ist, wer kauft heute noch ein? Also Brot, Butter, Milch, Eier, Salat und Gemüse - und bereitet zu Hause ein Essen zu? Tja, immer weniger. Der Abschied von der Mahlzeit ist längst vollzogen. Bestimmte Zeiten für ein Mahl gibt es kaum noch. Mahlzeiten sind individualisiert. Gegessen wird deswegen immer. Meistens einsam. Sehr viele jüngere Menschen leben vermutlich ausschließlich von Fastfood. Morgens am Bahnhof ein Brötchen und einen Kaffee. Mittags schnell ein Würstchen oder einen Döner. Und am Nachmittag - auf dem Nachhauseweg - eben noch ein anderes Steh-Etablissement aufsuchen. Oder am Abend sich eine Pizza nach Hause bestellen und die Lieblingsserie gucken.

Die Frage ist und war, wer kauft heute noch ein? Also Lebensmittel, die zu Hause zu geschmackvollen Gerichten verwandelt werden? Tja, gute Frage. Wer könnte sich für die Beantwortung dieser Frage interessieren? Wir werden es sehen


Bring!

«Mehr Spass beim Einkaufen! Die gratis Bring! App vereinfacht die täglichen Einkäufe und lässt dir und deinem Partner mehr Zeit für alles andere. Vergiss den alten Einkaufszettel.»

Da ist ein ganz tolles Startup in Zürich in der Schweiz, die bringen uns diesen Spaß beim Einkaufen. Und die Jungs und Mädels sind so glücklich und haben selber viel Spaß, weil ihre App im Oktober 2015 «Editor’s Choice» bei Google geworden ist! Und sie haben es geschafft, ihre App mittlerweile für alle Plattformen und fast alle Sprachen anbieten zu können.

Warum Bring! möchte, daß wir den alten Einkaufszettel vergessen und die Bring!-App nutzen, zeigt sich im folgenden. Wichtig ist, daß mit dieser App mehrere Leute (Familien, Wohngemeinschaften) interaktiv einkaufen und jeweils abhaken können, was erledigt ist.


Datenschutz!

Nun schauen wir uns an, was auf der Website dieses tollen Startups aus Zürich zum Thema Datenschutz zu lesen ist, denn die Bring!-App unterliegt dem (strengen?) schweizerischen Datenschutzrecht. Wir werden auch erfahren, warum die tolle Bring!-App gratis ist.

Daten im Zusammenhang mit Bring! einschliesslich Personendaten werden einerseits auf dem Smartphone des Nutzers und andererseits in der Amazon Cloud der Amazon Web Services, Inc. und anderer Amazon-Unternehmen in den Vereinigten Staaten von Amerika gespeichert und bearbeitet. In der Amazon Cloud können im Zusammenhang mit Bring! insbesondere folgende Daten gespeichert und bearbeitet werden:

  • Einkaufslisten und deren Inhalt wie beispielsweise Artikelbezeichnungen;
  • Angaben zum Nutzerkonto wie beispielsweise Nutzername, E-Mail-Adresse, Profilfoto, Land, Sprache, Nutzer-ID und – in verschlüsselter Form – Passwort;
  • Angaben zum verwendeten Smartphone und der verwendeten Internet-Verbindung wie beispielsweise Geräte-ID («Device Token») und IP-Adressen;
  • Nutzer-Einstellungen;
  • Angaben zu Einladungen an andere Bring!-Nutzer, E-Mail-Benachrichtigungen und anderen Nachrichten wie beispielsweise E-Mail-Adressen von Absender und Empfänger sowie der Status von Nachrichten;
  • Angaben rund um den aktuellen Standort des verwendeten Smartphones wie beispielsweise aktuelle Koordinaten oder Daten zu sich in der Nähe befindlichen Einkaufsläden;
  • Angaben zu Angaben im Zusammenhang mit etwaigen kostenpflichtigen Funktionen wie beispielsweise der verwendete App Store und das Ablaufdatum von Abonnements.


  • Amazon!

    Amazon also. Eine der größten Datenkraken der Neuzeit, die allen Ernstes die Weltherrschaft antreten will - was den Handel betrifft. Bei dieser Krake kann man heute schon fast alles bestellen, was es überhaupt im Handel gibt. Vom Buch über die Waschmaschine bis zum Champagner. Die Frage für Amazon ist nur, lohnt es sich, auch noch in das Geschäft mit Brot, Butter, Milch, Eier, Salat und Gemüse einzusteigen? Bring! bringt die Antworten, denn die Bring!-User schenken Bring! alle denkbaren Daten. Alle.

    Da Amazon eines Tages wirklich den gesamten Markt für ‹Endverbraucher› definieren will und vermutlich auch wird, ist es sehr wichtig, heraus zu kriegen, wer überhaupt noch Lebensmittel einkauft. Und ob Lebensmittel in sozialen Räumen gemeinsam gekauft werden. Und wann, wo und wie gekauft wird. Mit diesem Wissen kann Amazon den ‹Endverbrauchern› ein Angebot machen. Und das Angebot nach Hause liefern. Mit einem eigenen Lieferdienst.

    Das obige Motto - die Begrüßungs-Mail von Bring!: «Herzlich willkommen bei Bring! Wir freuen uns sehr, dich bei uns zu haben.» - ist ernst zu nehmen. Bring! ist nichts anderes als eine Spionagesoftware.

    Ist es erstaunlich, daß die jungen Leute bei Bring! in Zürich sich nicht nur nicht schämen, die Anwender ihrer Bring!-App komplett auszuspionieren, sondern auch noch stolz darauf sind? Nein. Sind wir entsetzt? Nein. Verachten wir sie? Ja.



    Ins Netz gestellt am 14. Januar 2016
    Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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