BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Das ist mit mir nicht zu machen!»
von Albertine Devilder & Helmut Hansen
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«Wörter sind nur Sand in unseren Augen.»
(Richard Weiner)

«Der Parlamentarismus ist die Kasernierung der politischen Prostitution.»
(Karl Kraus)

Einführung

Die obigen Motti sind deutlich. Ja, es geht in diesem Traktat um Politik. Genauer: Um Politiker und Politikerinnen, also um die Menschen, die sich um unser Gemeinwohl kümmern und ‹Wohlstand für alle› schaffen. Noch genauer: Es geht hier um das, was diese Auserwählten und Gewählten so sagen. Es geht um die ‹entleerten Wörter›, die ihnen aus dem Munde purzeln. Wie, Sie können genau diese nicht mehr hören, liebe Leserin, lieber Leser? Uns geht es genau so. Doch mit unserer Wunderwaffe der ‹Wirklichkeitsprüfung› ausgestattet können wir das Geplapper im Polit-Panoptikum über uns ergehen lassen, ohne daß wir darunter leiden. Das geht. Unser Prüfungs-Modus schützt uns. So haben wir im ‹Skepsis-Reservat› bereits zwei sehr beliebte Polit-Floskeln untersucht. Und fügen heute die Prüfung einer dritten hinzu. Blicken wir kurz zurück.


«Ich gehe davon aus!»

Ach, dies ist eine herrliche Allerweltsphrase, die schon seit einiger Zeit aus der großen Politik in die Alltagssprache abgesackt ist. Stellen wir uns vor, einer Politikerin wird von irgendeiner eingebetteten und von den ‹Herren des Wörterbuchs› streng überprüften Journalistin irgendeine Frage gestellt. Nun, dann ist mit einer Übergangswahrscheinlichkeit von beinahe 100 % folgender Satzanfang zu hören:
«Nun, ich gehe davon aus, daß ... (etwa: «der Koalitionsvertrag eingehalten wird» etc. etc.)»
Henriette Orheim hat sich in ihrem gleichnamigen Traktätchen die Psychologie dieser beinahe genialen Phrase sehr genau angesehen. Mit einem «Ich gehe davon aus!» sagt jemand, daß ein Ereignis eintreten kann, oder auch nicht. Gleichzeitig erweckt er den Eindruck, zu wissen, daß etwas geschehen wird, er weiß nur nicht genau, was es ist und wann es geschehen wird, hat aber dennoch den Über- und Durchblick. Toll! Dieser routinierte Jemand sagt mit dieser Phrase aber auch, daß das, wovon er gerade ‹ausgeht›, für ihn – ganz persönlich jetzt – ganz und gar unverbindlich ist, ja mit ihm selbst eigentlich gar nichts zu tun hat. Man kann ihn – ganz persönlich jetzt – nicht auf diese Aussage festlegen. Dazu macht dieser Jemand deutlich, daß da – außerhalb von ihm – etwas geschieht, das er – ganz persönlich jetzt – nicht beeinflussen kann.

Und damit hat Henriette Orheim schon das ganze Geheimnis dieser Plastik-Floskel entschlüsselt: Je nach der ‹Entwicklung der Lage› kann der Jemand so tun, als hätte er schon alles im voraus gewußt, oder er kann so tun, als hätte er von allem nie etwas gewußt. Das Wichtigste ist: Er ist aus dem Schneider, denn er trägt keine Verantwortung für das, was ohnehin geschieht. Toll! Wir sehen: «Ich gehe davon aus!» ist die ideale Phrase für alle Wichtigkeitswichtel, die in diesen großen Zeiten etwas ‹bewegen› wollen.

Doch gehen wir weiter zur nächsten Floskel, die so zum Allgemeingut geworden ist, daß sie selbst Fußballspielern aus dem Munde purzelt:


«Ich freue mich auf diese Herausforderung!»

Stellen wir uns eine junge Politikerin vor, die plötzlich Bundesministerin für Irgendetwas wird. Hat diese Frau irgendeine passende Ausbildung oder irgendein spezifisches Wissen, welches mit diesem Amt harmonieren könnte? Nein, statt dessen ist sie (in dieser Wichtigkeitsreihenfolge) Mitglied einer Partei, die Posten zu vergeben hat, und sie erfüllt verschiedene Quoten: So kommt sie aus einem bestimmten Bundesland und hat eine bestimmte Konfession. Ihre eigentliche Qualifikation bestand aber darin, mit ‹Badspeak› den sogenannten ‹politischen Gegner› hinreichend bekämpft, gequält und beleidigt zu haben.

Henriette Orheim hat in einem ihrem wunderbaren Traktätchen diese Floskel von der ‹Herausforderung› genau betrachtet. So fragt sie, was wir, wenn jemand – ganz persönlich jetzt – eine allfällige ‹Herausforderung› denn annimmt, eigentlich erfahren über das Wissen und Können des Herausgeforderten, welches zur Bewältigung dieser Herausforderung nötig sein könnte? Was erfahren wir über die in der Herausforderung verborgenen Inhalte und Qualitäten, die der Herausgeforderte – ganz persönlich jetzt – zu bearbeiten hat? Was erfahren wir über die Methoden, mit denen der Herausgeforderte – ganz persönlich jetzt – an seine Herausforderung heranzugehen beabsichtigt? Was erfahren wir über die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutsamkeit der Herausforderung, vor die sich der Herausgeforderte – ganz persönlich jetzt – gestellt sieht? Was erfahren wir über die Voraussetzungen und die näheren Begleitumstände, die bei der Bewältigung dieser Herausforderung vom Herausgeforderten – ganz persönlich jetzt – zu beachten sind? Was erfahren wir über die üppige Alimentation der Herausgeforderten nebst ihrem Pensionsanspruch? Und was erfahren wir darüber, ob ein Herausgeforderter seine Herausforderung – ganz persönlich jetzt – auch erfolgreich bewältigt? Nichts? So ist es. Wir sehen: «Ich freue mich auf diese Herausforderung!» ist die ideale Phrase für alle diejenigen, die im finalen Kapitalismus Spuren hinterlassen wollen, von denen sie keine Ahnung haben.

Die folgende Phrase ist nicht weniger nervig, darüber hinaus ist sie aber auch noch sehr lustig:


«Das ist mit mir nicht zu machen!»

Ist das nicht hinreißend? Klingt das nicht – ganz persönlich jetzt – dynamisch, willensstark, entschlossen, mutig, handlungsorientiert? Da sagt also etwa ein Minister (wie er dazu wurde, haben wir gerade oben beschrieben) in seinem ersten großen und bedeutenden Interview einer eingebetteten und von den ‹Herren des Wörterbuchs› sorgfältig überprüften Journalistin: «Dies und das ist mit mir nicht zu machen!» Ja, geht's denn noch?

Ganz im Ernst: Was soll diese Pose? Ein Minister ist in Gänze ein Büttel, ein Handlanger, eine Marionette, eine Bauchrednerpuppe des Kapitals. Sonst nichts. Darüber hinaus ist er nur seinem Gewissen verantwortlich, das er allerdings abgelegt hat, nachdem er einer Partei beitrat. Denken wir an das obige Motto von Karl Kraus. Ja, wozu schwingt sich denn dieser Politdarsteller auf? Hat er denn irgendwann irgendeine ganz persönliche Entscheidung zu treffen, die ihn und sein Wollen widerspiegelt? Nein, bevor er meint, etwas entscheiden zu dürfen, steht die Entscheidung ja schon fest. Selbst bei ganz und gar sinnlosen und schwer zu vermittelnden Entscheidungen geht es doch schließlich nicht um Inhalte, die er – ganz persönlich jetzt – beeinflussen könnte, sondern um den ‹Zusammenhalt in der Koalition›, um die ‹Geschlossenheit› und darum, daß man die ‹Kanzlerin nicht im Regen stehen lassen darf›! Oder so.

Die hilflose Phrase «Das ist mit mir nicht zu machen!» soll so etwas wie eine politische Überzeugung, ein Gewissen, ja gar eine Ehrbarkeit herbeizaubern. Das wüßten wir aber. Und wir sehen: Dies ist die ideale Phrase für alle diejenigen, bei denen ‹im Mittelpunkt der Mensch steht›. Die sagen auch: «Wir wollen Deutschland dienen!» Aber diese Floskel schauen wir uns jetzt nicht mehr an. Es reicht uns.


Nie wieder!

Natürlich gibt es neben den hier skizzierten Phrasen, die in den schwirrenden Politmedien immer wieder aufgesagt werden, eine Fülle von Wörtern, die nur die Aufgabe haben, uns Sand in die Augen zu streuen. Sagen wir mal «Wachstumsbeschleunigungsgesetz» oder «Verbraucherschutzgesetz». Klar, das ist schon sehr lustig. Aber die Phrasen «Ich gehe davon aus!», «Ich freue mich auf diese Herausforderung!» und «Das ist mit mir nicht zu machen!» sind nach unserem Empfinden mit das Albernste, was sich in diesem Genre so sagen läßt. Wir wollen sie deswegen nie wieder hören! Ruhe jetzt!



Erstellt: 08. Januar 2010 – letzte Überarbeitung: 13. Januar 2010
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