BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Das pädagogische Gewissen - Stimmen (8):
‹Macht› in der Schule» von Tom B.
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«Wissen ist Macht»
(Sir Francis Bacon)

Der gute Francis hat natürlich recht. Wie könnte es auch anders sein, schließlich hat er die moderne Naturwissenschaft, die Dynamik des ‹modernen› Fortschritts und damit auch dessen Probleme und Unbilden über uns gebracht. Im Bildungskontext allerdings, aus dem ich Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, wieder schreibe, bekommt dieser Aphorismus eine zweite Bedeutung, die vielen vielleicht gar nicht bewußt ist. Doch im pädagogischen Betriebe und Getriebe steckend fällt genau dieses Phänomen mir immer wieder auf. Denn Macht in der Schule ist vielfältig und durchaus nicht immer offensichtlich.


Die offensichtliche Macht

Lehrer haben Macht. Das bestreitet kaum jemand, auch wenn es gerade jungen, modernen und aufgeklärten Lehrkräften in ihrem Reformbemühen schwer fällt, das zuzugeben. Der Staat übergibt mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag auch jede Menge formale Macht an die Lehrer, meist in der stillen Hoffnung, diese würden sie nicht mißbrauchen. Ein Thema, das wir aus Pietätsgründen und dem pädagogischen Verlangen, nicht die letzten Illusionen der Leserschaft zu zerstören, auslassen werden. Die formale Macht eines Lehrenden schlägt sich in dem Zwang zur Notengebung und dem Zugriff auf bekannte Ordnungsmaßnahmen nieder, wie dem allgemein beliebten Verweis. Lehrer dürfen Macht ausüben, um die ‹Bildung› der Schüler zu gewährleisten und deren ‹Leistungen› pseudoobjektiv zu messen. Hier gibt es also kaum etwas, daß uns wundern sollte. Die ganze Anlage dieses Systems ist durchaus bekannt und solange sie nicht mißbraucht wird, auch durchaus sinnvoll einsetzbar, was heißt: Meistens gar nicht. Über die Frage der objektiven Notengebung decken wir den testtheoretischen Mantel des Schweigens und erwähnen hier nur kurz die Tatsache, daß ich einmal darauf hingewiesen wurde, daß Notenschnitte über 4,0 und vor allem unter 2,5 unrealistisch seien. Alles ist nur eine Frage der Bewertung.


Die geheime Macht

Haben wir gerade etabliert, daß Lehrer eine formale Macht haben, gesellt sich flugs die Erkenntnis hinzu, daß sie auch an formale Richtlinien gebunden sind: Lehrpläne, Schulordnungen, didaktische Handreichungen, rings um die Lehrer herum raschelt es ganz gewaltig im Blätterwald. Was hat dies nun mit Macht zu tun? Lassen Sie mich kurz ausholen.

Im wunderbaren Arbeitspapier über Macht zeigt die ‹Bochumer Arbeitsgruppe›, wie durch das Belegen von bestimmten Gesten und Sprachformen ‹Macht› sozial erzeugt wird. Diese vielfältigen sozialen Machtkonstruktionen mit Hilfe eigentlich nebensächlicher Gesten- und Mimikfiguren aller Art finden sich natürlich auch in der Schule. Der Lehrer kann sehr gut mit Fragen aus dem Hinterhalt, durch Bemerkungen, die mit einem spezifischen Gesichtsausdruck verknüpft sind, durch das Übergehen eines Schülers beim Melden und vielen ähnlichen Verhaltensweisen Macht im Klassenraum generieren. Hier gibt es also eine Möglichkeit, in einem überschaubaren sozialen Raum ‹Macht› herzustellen, der man als Lehrender allzu gern verfällt. Macht berauscht. Und so neigen Lehrende immer wieder zum Sadismus, zu Selbstbeweihräucherung und Arroganz. Doch das ist noch gar nicht der Kern des Problems.
Kehren wir kurz zu den didaktischen Prinzipien zurück, die oben angerissen wurden, und schauen etwas tiefer. Unterrichtsstunden werden nach standardisierten didaktischen und pädagogischen Prinzipien erstellt oder besser, man hätte gerne, daß sie so erstellt werden. Wissen die Schüler darüber Bescheid, welchen Prinzipien sie in ihrem Unterricht gehorchen? Wissen sie, welchen Zweck die verschiedenen Übungen haben? Meist nicht, und die Lehrer sagen ihnen dies auch nicht. Schüler sollen bitte nicht den Unterricht mitbestimmen, den die Lehrenden doch so gut planen.

So empfängt der Schüler nur die Weisen der Welterzeugung, die der Lehrer ihm präsentiert. Auch ein Metawissen um die Grundprinzipien der schulischen Übungen oder um die Strukturen der Notengestaltung ist unerwünscht. Am Ende könnte ja ein Schüler ganz mündig über seine eigene Bildung mitbestimmen. Der Gedanke, daß es besser sei, wenn der Lehrer ‹einfach mal macht›, ist virulent und zeugt von einem Schülerverständnis, daß mich schon mehrfach verwundert hat. Lehrende lernen in ihrer Ausbildung, daß es nicht ratsam sei, die Machtposition des Wissenden zu verlassen und den Schülern zu zeigen, wie das funktioniert, was sie da gerade erleben. Dies Verständnis vom Schüler, vom Lehrenden, vom Unterricht, ja, von Pädagogik drückt sich darin aus, daß Unterricht zwar ‹am Schüler› ausgeführt wird, allerdings kaum transparent erklärt wird, warum dieser Schüler oder auch diese Schülerin sich diesen Unterricht überhaupt ‹antun› sollte.

Hier hat man also eine Macht, die täglich auf die Schüler ausgeübt wird. Eine Macht die sich sogar auf die Eltern ausweitet, denen in Sprechstunden natürlich auch kaum der Hintergrund des professionellen Handelns erklärt wird, teilweise vermutlich auch aus dem Verständnis heraus, daß Eltern das sowieso nicht verstehen.


Macht das nun was?

Fazit dieser kleinen Betrachtung zu ‹Macht› in der Schule ist, daß die Schule die hierarchischen Gewaltverhältnisse und das systematische Unwissen über das tatsächliche Funktionieren des sozialen Systems, in dem wir leben, vorprägt und damit schon durchsetzt. Ein Wissen und Verstehen im einzelnen Fach ist erwünscht und gewollt. Ein Wissen und Verstehen um die Strukturen, in denen Schüler und Schülerinnen lernen und in denen Unterricht geschieht, gilt als zu komplex und/oder als das Verraten von Staatsgeheimnissen. Schließlich ist Unterricht für den Schüler nur etwas, das stattfindet, nicht etwas, daß er im eigenen Interesse durchschauen und mitbestimmen sollte. So ‹bilden› wir Bürger für das postmoderne Deutschland.



Erstellt: 28. Februar 2008 – letzte Überarbeitung: 6. März 2008
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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