BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Skizzen einer Psychologie des Meinens (5): Unter dem Regenschirm der 'eigenen' Meinung» von Albertine Devilder & Henriette Orheim
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We do not first see, then define,
we define first, and then see!
(Walter Lippmann)

1. Einführung

Lieber Leser, liebe Leserin, wir denken, daß das Äußern von kommunal überdefinierten Meinungen – die ‹selbstredend› stets für die ‹eigene› Meinung gehalten werden – gleichsam zu einer Art Lieblingsbeschäftigung in der Jetztzeit geworden ist. Aus diesem Grund haben wir in den vorhergehenden vier kleinen Skizzen versucht, über einen Diskurs zum «Meinen» etwas Licht in die so anmutig gestaltete Zweifelsfreiheit des ‹gesunden› und meinungsstarken Menschenverstandes zu werfen: Wir haben das ‹Meinen› vom ‹Wissen› unterschieden und sozial verortet (vgl. «Meinen: Eine Annäherung»), die «Rezepte, Regeln und Rituale» des ‹Meinens› betrachtet, die bedeutende Rolle der «Sprache» beim ‹Meinen› durchdacht und die Frage «Gibt es ‹eigene› Meinungen?» schlicht und etwas vorlaut verneint.

In diesem kleinen Traktat nun möchten wir etwas näher untersuchen, was im Alltag so oft zu beobachten ist: Wie nämlich auf wirklich einmalige und geradezu ideale Art und Weise im ‹gesunden› Menschenverstand der Meinenden alles so zusammenwirkt, daß sie bei ihren einmal ‹gefaßten› Meinungen bleiben können. Wir schauen uns also hier Aspekte der Selbstimmunisierung und Selbststabilisierung im ‹Meinen› an, die vermutlich eine wichtige Rolle bei dem – oft so schwer erträglichen – prallen und fröhlichen In-der-Welt-Sein der Meinungsaufsager spielen. Fangen wir an: Variationen zu einem Thema.


2. Autopoiese unter dem Regenschirm

Wir haben in den Essays über «Kognitionspsychologie» und über «Personen als Systeme» unsere Vermutung beschrieben, daß Menschen – als die Krone der Schöpfung – hoffnungslos informationell abgeschlossen und somit interaktiv nicht instruierbar sind. Auf das allfällige und alltägliche ‹Meinen› bezogen, können wir demnach sagen, daß wir ‹eintreffende Informationen› oder Meinungen – die für uns immer nur Perturbationen sein können, deren Sinn wir erst gemäß unserer kognitiven Möglichkeiten bestimmen müssen – in Abhängigkeit von unserem allgemeinen ‹Wissen› über die Welt, unseren Lieblings-Plausibilitäten und unseren ‹Meinungen› aufbereiten, ‹verzerren›, umdeuten, behandeln, toasten, kurz, also selektiv kodieren und damit schließlich assimilieren, akkommodieren oder – wie es der Regelfall sein dürfte – schlicht zurückweisen. Damit wird ziemlich klar, daß unser ‹ganz persönliches› Inventar an ‹Meinungen› wie ein Regenschirm wirkt, von dem alles abprallt und abtropft, was uns nicht in den Kramladen unserer Meinungen paßt. Und unter dem Regenschirm der ‹eigenen› Meinung ist es recht gemütlich. Da können wir uns an anderen Meinungen anhören, was wir uns eben anhören, nichts kann uns naß machen. Nur wenige Beispiele für das übliche Geplapper unterm Regenschirm: Oder besser noch: Was geschieht hier? Nichts besonderes. ‹Eigene› (d.h. natürlich sozial definierte) Meinungskategorien verhindern das In-Betracht-ziehen neuer Meinungen durch Selektion des Gehörten und die aktive Vermeidung von Alternativen. Zum einen ist unsere sogenannte ‹Informationsaufnahme› also immer schon eine verifizierende Strategie, die uns den ‹Kopf freihält›, da sie unplausible, unser System der Autopoiese störende Meinungen abprallen läßt. Wir können bei den Meinungen bleiben, mit denen wir doch bisher immer «gut gefahren» sind. Es regnet Ansichten und wir bleiben im Trockenen. Na prima.

Und zum anderen müssen wir sehen, wie die selektive Darbietung unserer ‹eigenen› Meinungen im fraglosen Konsens unserer Subkultur durch den allfälligen Applaus – das weiße Rauschen des sozialen Raums – uns weiter gemütlich und bedenkenfrei unter unserem Regenschirm stehen läßt.

Bei der im Zuge der Globalisierung gelegentlich zu beobachtenden pseudo-aufgeklärten oder pseudo-liberalen Version des öffentlichen Meinungshabens oder besser des ‹Für-die-Aufnahme-einer-besseren-Meinung-immer-bereit-Seins› geht es etwas anders zu. Hier wird aus taktischen Gründen so getan, als ließe sich irgendjemand in irgendeinem Kontext von Alltag und Wissenschaft durchaus eines Besseren belehren, sobald hinreichende Beweise für die Fehlerhaftigkeit der eigenen Anschauungen erbracht würden. Hier sind die Meinungsbesitzer immer ‹offen› für neue Erfahrungen und Argumente, hier lassen sich die Gutmenschenvortäuscher immer gerne von etwas ‹überzeugen›. Nun, das Problem ist nicht das Wörtchen ‹hinreichend›, sondern, daß autopoietische Systeme per Definition in der Aufnahme-Verhinderung systemfremder Meinungen einfach Spitze sind. Es geht nicht um Daten, sondern um Deutungen. Immer.

Ein kurzer Blick in den Alltag (ob Politik oder Liebesbeziehung) zeigt uns, daß sich jede Meinungsseite aus den «identischen Informationen» über ein und dasselbe Ereignis diejenigen Details heraussucht, die zur Stabilisierung der eigenen Meinung gerade brauchbar erscheinen. Die anderen Meinungen prallen von unserem Regenschirm ab. Ja, unser Funktionieren als geschlossenes System (vgl. dazu unbedingt «Personen als Systeme») geht so weit, daß wir, falls wir mal eine andere Meinung hören, unmittelbar und gleichsam reflektorisch darüber nachdenken, warum diese ‹andere›, ‹fremde› Meinung falsch sein könnte, nein, falsch sein muß. Und anschließend versuchen wir diese andere Meinung, diese andere Sichtweise, diese andere Ansicht mit sozialen Spielchen aller Art zu entwerten (vgl. dazu insbesondere das Arbeitspapier Nr. 5 «Diskussions-Skripte»). An der Richtigkeit unserer eigenen Annahmen, Plausibilitäten und Lebenspläne zweifeln wir nur selten, und wenn, dann muß es schon ein ganz besonderer Anlaß oder eine ausgewachsene Katastrophe sein (vgl. dazu den Abschnitt «Paradigmenwechsel im Meinen» im Traktat «Rezepte, Regeln, Rituale»). Ja, es sieht ‹wirklich› so aus: Unsere Meinungen, unsere subjektiven Plausibilitätsstrukturen, unsere Fraglosigkeiten bilden einen wunderbaren Regenschirm, unter dem wir vor anderen, fremden, störenden Meinungen und Plausibilitäten geschützt sind.


3. Sicherheit unter dem Regenschirm

Das Leben unter dem Regenschirm der ‹eigenen› Meinung ist auch deswegen ganz angenehm, weil jedes nur denkbare Ereignis die eigene Meinungsweise subjektiv validiert: Da alle in der Wirklichkeitswelt angeblich vorhandenen ‹Informationen› aktiv über Deutungen und Umdeutungen in ein bereits vorhandenes, vorgefertigtes Meinungsbild eingefügt werden, entsteht ein wunderbar fragloses Gefühl von der Richtigkeit und Angemessenheit des ‹eigenen› Meinens, ja ein Gefühl der Zweifelsfreiheit und Meinungssicherheit, wie es insbesondere bei besonders bedeutsamen – meist männlichen – Menschen wie Politikern, ‹Unternehmern› oder Wissenschaftlern oft in ganz unerträglicher Weise zu beobachten ist. Tja, wir kennen alle Menschen, die im Diskurs auch nicht im geringsten ‹erreichbar› sind, die jede Perturbation empört ablehnen und sich unter ihrem Regenschirm permanent geistig ausruhen (sollte es hier eine Nähe zum «Teflon-Mann» geben?). Und wir kennen alle den in solchen Situationen auftauchenden sehnlichsten Wunsch, diesen Meinungshabern mal den Regenschirm zuklappen und dabei zusehen zu können, wie sie endlich im Regen dessen stehen, was wir ihnen immer schon einmal sagen wollten.

Natürlich führt diese subjektive Sicherheit, diese Zweifelsfreiheit im Meinen auch dazu, daß über das Meinen auch das ‹eigene› ‹Ich› als etwas eigenständiges und vom sozialen Raum abgetrenntes erlebt wird. Die Biographie von der Stange läßt sich so mit ‹eigenen› Meinungen aufhübschen. Wie schön, denn schließlich gilt das ‹Ich› gerade auch auf Grund seiner einzigartigen und unverwechselbaren Meinung genau als das ‹Ich›, das es eben ist (vgl. dazu auch den Essay «So viel ‹Ich› war nie»). Wir denken, daß im finalen Kapitalismus der Postmoderne Menschen genau zwei Laufwege geschenkt werden, die mit der «Gesellschaft des Spektakels» eben nicht konfligieren: Meinen und Kaufen. Das darf jeder. Das erstere, weil es für den finalen Kapitalismus unbedeutend und völlig folgenlos ist, das zweite, weil es ihn zusammenhält.

Das Leben unter dem Regenschirm der ‹eigenen› Meinung kann gelegentlich auch mal weniger beschaulich werden: Die wenigen Anlässe für Paradigmenwechsel im Meinen – bei denen es unruhig und stürmisch unter dem Regenschirm zugehen kann – haben wir in «Meinen: Rezepte, Regeln, Rituale» beschrieben. Nur bei einem solch seltenen, ‹großen› oder bedeutsamen Lebensereignis geht der Regenschirm vielleicht sogar einmal kaputt oder wird von einer Meinungs-Sturmbö fortgeweht! Und wir werden tatsächlich naß gemacht. Und andere Ansichten behelligen uns. Scheußlich? Na ja, ehrlich, so schlimm ist es auch nicht. Sobald wir wieder trocken sind, ‹kaufen› wir uns allerschnellstens einen neuen Regenschirm vom Meinungsmarkt («Und von dem Moment an, als ich also die Krankheit überstanden hatte, wußte ich, daß ich kein Fleisch mehr essen würde!» Oder: «Und von dem Moment an, als ich also die Krankheit überstanden hatte, wußte ich, daß jetzt Schluß ist mit dem Vegetarier-Getue!») und machen es uns unter diesem wieder recht gemütlich – nur, daß wir jetzt das Gegenteil von dem behaupten, was früher für uns essentiell war. Wir schlagen eine neue ‹persönliche› Meinungsseite auf, wir läuten ein neues subjektives Meinungszeitalter ein, wir finden überraschend schnell zu unserer alten Meinungsvertretungsvehemenz zurück, und endlich wabert wieder wundersam, wohlig weiche Wonne willkürlich wichtigen Wissens – also Meinens. Endlich wieder in Sicherheit! Im Ruhrgebiet würde man sagen: «Es ist, wie es ist, nur ist es jetzt anders!» So ist es.


4. Glauben unter dem Regenschirm

Da selektiv kodierte Informationen sich in ein verfügbares, fertiges, fast nahtloses System ‹persönlicher› plausibler Meinungen einfügen, welches von den Mittlern der eigenen Subkultur, den sogenannten «Signifikanten Anderen» [1] Peter L. Berger & Thomas Luckmann (1980): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag., ohne die wir nicht leben könnten, aufrechterhalten wird, liefern uns eintreffende «Informationen» nicht nur die unter dem 3. Abschnitt beschriebene Meinungssicherheit, sondern eben auch ständig Hinweise für den Glauben an die Richtigkeit unseres Orientierungsinstrumentariums. Die impliziten Plausibilitäten bestätigen sich bei jedem neuen «Informationsfluß» immer wieder ‹von selbst›. Und genau das kann zu einem starken Glauben an die Gültigkeit der ‹persönlichen› Wirklichkeitswelt führen, sowohl im profanen wie auch im religiösen Sinn. Gewißheit im Glauben, das ist es. Und dieser Glaubensschlenker ist gelegentlich in unübersichtlichen Diskussionen zu hören und zu beobachten, in denen wir manchmal dann, wenn ein ‹Standpunkt›, eine Meinungsplattform, eine Meinungsbastion allmählich in einem bestimmten sozialen Raum nicht mehr haltbar erscheint (Etwa: «Rauchen ist doch überhaupt nicht schädlich!») die Sprachfigur hören: «Ich glaub das aber!» Oder noch seltener: «Ich möchte das aber glauben!» Das ist natürlich sehr schön. Und fast schon konstruktivistisch gedacht.

Noch ein Beispiel zur unablässigen Verfestigung unser Glaubenssysteme: Zwei Psychotherapeutinnen aus unterschiedlichen Therapieschulen befassen sich – unabhängig voneinander – mit ein und demselben ‹Fall›. Vor beiden steht zwar dieselbe Person, die beiden Therapeutinnen ‹sehen› aber nicht dieselbe oder dasselbe, beide achten auf ganz unterschiedliche Details und ziehen ganz unterschiedliche Überlegungen heran. Beide arbeiten also unter dem Halbschatten ihres professionellen Meinungsregenschirms. Und jetzt wird es interessant: Beide Psychotherapeutinnen sehen in dem, was sie im Verlauf ihrer Arbeit mit dem ‹Fall› sehen, das theoretische und praktische Grundmodell ihres therapeutischen Vorgehens bestätigt. Ja, ihr Glaube an die Richtigkeit ihrer therapeutischen Arbeit wird mit jedem einzelnen neuen Fall immer stärker. Sie werden immer zuversichtlicher. Bis sie eines Tages – vielleicht in ihrer Lebensmitte – eine Sinnkrise oder ein Syndrom des Ausgebranntseins entwickeln und ihre gesamte bisherige Arbeit in Frage stellen oder gar verwerfen. Dann suchen sie sich einen neuen Regenschirm. So oder so.


5. Das perpetuum mobile der Selbstimmunisierung

Lieber Leser, liebe Leserin, wir haben gesehen, wie komfortabel es unter dem Regenschirm der ‹eigenen› Meinung zugeht. Die Selektion dessen, was wir an Meinungen an uns ‹heranlassen›, die gezielte Vermeidung von uns fremd und unerfreulich erscheinenden Meinungen, die kategorische und kategoriale (begriffliche) Verhinderung anderer Meinungen aufgrund unseres Meinungsschutzschildes, das angenehme Gefühl von Sicherheit, es sich in seinen ‹eigenen› Meinungsplausibilitäten angenehm gemacht zu haben, der Glaube nicht nur an die ‹Tragfähigkeit› der eigenen Meinungsstrukturen, sondern gar an deren Überlegenheit, und schließlich die durch den Diskurs mit ‹Signifikanten Anderen› pausenlos hergestellte Wirklichkeitsaufrechterhaltung und -stabilisierung, schaffen ein perpetuum mobile der Selbstimmunisierung. Und aus diesem perpetuum mobile wiederum erwachsen flink Prophezeiungen aller Art, die sich selbst erfüllen und die die Richtigkeit und Gültigkeit des eigenen Meinens erneut bestätigen.

Welche Rolle die Sprache in diesem circulus vitiosus spielt, wie Sprache subjektive und öffentliche Wirklichkeitskonstruktionen alleine schon dadurch sichert und stabilisiert, daß sie gesprochen wird, wie das ständige Sprechen über irgendetwas sich als die nachhaltigste Stabilisierung der Wirklichkeit und der damit verbundenen – in sie eingegossenen – Meinungen erweist, wie unsere Sprache über die Kunstgriffe der Substantivierung, Objektivation und Reifikation uns unserer Welt versichert, ja, wie sie uns dazu verleitet, Wörter und Metaphern mit der Wirklichkeit selbst zu verwechseln, all das ist in unserem kleinen Kosmos von www.boag-online.de schon oft angeklungen. Sagen wir also, es führt keine Brücke von der Sprache zur Wirklichkeit. Und vom Meinen her erst recht nicht.

Plausibilitätsstrukturen im Meinen schaffen also ein perpetuum mobile der Selbstimmunisierung, ein in sich ausgesprochen widerstandsfähiges System der Wirklichkeitsaufrechterhaltung. Und dieses perpetuum mobile dient – im Rahmen eines spezifischen fraglosen (sozialen) Konsenses – der Absage an jeglichen Zweifel. Es ist wirklich kein Wunder, wie weite Teile des allgemeinen Meinens und «Wissens» in Alltag und Wissenschaft ganz weitgehend immunisiert sind.

Stellen wir uns vor, wir wären auf einer hohen Warte und hätten die Absicht und die Möglichkeit, die «Wahrheit» über die Menschen auszugießen. Was sähen wir, wenn wir auf das Menschengewimmel hinabschauten? Lauter aufgespannte Regenschirme. Und dann ist uns klar: Wir träfen niemanden, gössen wir die «Wahrheit» hinab.



Kommentare:


26. Januar 2002

Liebe Albertine, liebe Henriette,
beim Lesen eures Textes kam mir in den Sinn, daß sich der bekannte Ausspruch «Triffst du Buddha unterwegs, töte ihn!», auch in ein «Siehst Du Regenschirme unterwegs, klappe sie zu!» umwandeln ließe. Nur, wer schon mal versucht hat, irgendwo bei irgendjemandem den Regenschirm der ‹eigenen› Meinung zuzuklappen, weiß, wie wenig erfolgversprechend ein solches Unterfangen ist. Aber ich wollte euch was von Schildkröten erzählen.
Meinungen sind wohl die schlichteste Variante des Wind- und Wetterschutzes. Aber auch Begriffssystemen, Erklärungen, Modellen und ‹wissenschaftlichen› Theorien aller Art kommt eine wasserabweisende Imprägnierfunktion zu. Und so sehe ich in meiner Umgebung immer mehr Schildkröten.
Diese Metapher habe ich aus dem wunderbaren konstruktivistischen Roman «Der Verführer» [2] Jan Kjærstad (1999): Der Verführer. Köln: Kiepenheuer & Witsch.. In diesem Roman spielen Jonas und Axel in der Schule sehr gerne das «Schildkrötenjagen». Das war eine ihrer Möglichkeiten, die uninteressanten Unterrichtsstunden zu retten. Auf Seite 84 heißt es: «Jonas bekam die Idee durch das phantasieanregende Element, das in mehreren alten Mythologien wiederkehrt und das behauptet, die Welt ruhe auf dem Rücken einer Schildkröte. Schildkrötenjagen bedeutete also, nach dem Theoriefundament der Lehrer zu suchen, der Nabe also, um die sich ihr ganzer Unterricht drehte, denn unter den härtesten und reinsten ‹Fakten› liegt immer eine Fiktion, eine Schildkröte, groß wie ein Volkswagen.»
Die beiden Bilder von der ‹Schildkröte›, dem unausgesprochenen Fundament allen Meinens, und dem ‹Regenschirm›, der die Menschen dazu bewegt, es sich auf ihrer Schildkröte und unter dem Regenschirm mit ihren Meinungen fraglos und ungestört gemütlich zu machen, passen gut zusammen, finde ich. Denn alle Meinungen und ‹Tatsachen› beruhen auf einer Fiktion, werden also von einer Schildkröte getragen. Und der Regenschirm wehrt all das an Meinungen und ‹Tatsachen› ab, das das Leben der Schildkröte beschädigen könnte.
Und ihr habt ganz recht: Gerade Teflon-Männer stehen auf riesengroßen Schildkröten, die sie nie erwähnen! Ich vermute natürlich, daß sie ihre Schildkröte nicht einmal beschreiben könnten, so selbstverständlich ist ihnen alles, was sie meinen.
Lassen wir es dabei: Es führt keine Brücke von der Sprache zur Wirklichkeit. Denn auf dem Rücken der Schildkröte und unter dem Regenschirm der ‹eigenen› Meinung sieht es so aus:
Solange es trocken bleibt, meint man alles zu verstehen. Erst wenn alles naß ist, versteht man nichts mehr.
In diesem Sinne
Alles Liebe,
Tanja Bracelet



Erstellt: 22. Januar 20021 – letzte Überarbeitung: 26. Januar 2002
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