BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Aphorismen (3)»
von Holger Wyrwa
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Das meiste, was die Menschen sagen, haben sie irgendwann einmal auswendig gelernt. Nun plappern sie es bei jeder Gelegenheit herunter.

Das Böse ist das Fehlen von Empathie.

Jugendliche beeilen sich Klischees zu entsprechen. Und dann?

Die meisten Menschen sind Kinder, die den ganzen Tag über mit bunten Murmeln spielen.

Wirklich frei sind wir nur dann, wenn wir mit voller Überzeugung auch das Gegenteil von dem tun können, was wir bisher getan haben. Ansonsten sind wir nur Marionetten unserer Überzeugungen.

Denken fungiert als ein Instrument der Verinnerlichung.

Um die Welt zu erkennen, muß ich mich nicht um einen Millimeter bewegen.

Wir deuten immer nur die Deutung einer Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit selbst.

Wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht hat, dem wird genommen.

Immer mehr Menschen können bestimmte Gedanken nicht mehr nachvollziehen, weil Ihnen die Fähigkeit abhanden gekommen ist, feine Unterscheidungen zu treffen.

Wissenschaft ist differenzierter Glaube.

«Warum trägst Du ein bauchnabelfreies Shirt?» «Weil es cool ist!» Kann man das Denken junger Menschen noch präziser ausdrücken?

Im Begehren des Anderen zeigt sich die Angst vor der Einsamkeit.

Nur im Exzentriker finden wir noch die Reste eines Ich.

Bilder und Photos sind Momentaufnahmen der Lüge, die Augenblicke festhalten, die es so nie gab.

Das einzige, was viele junge Menschen heutzutage noch geben und hergeben können, ist ihr Körper. Also hüten sie ihn, wie einen Schatz. Und kokettieren mit ihm. Und suhlen sich in der Macht, ihren Körper dem bewundernden Gaffer zu verweigern. Geben sie ihn schließlich doch hin, dann nur an einen Körper, der dem ihren gleich kommt. Im fremden Abbild ihres Körpers sehen sie ihr eigenes ‹Ich›.

Bildung ist eine nachlässig gekochte Suppe, die jeder essen muß. Wenn Menschen nett sind auf eine nichtssagende Weise, wenn Menschen intelligent sind auf eine belanglose Art, wenn Menschen ihr Leben in einer vorgegebenen Form leben, dann laufe davon so schnell du kannst. Denn sie werden dir gleich erzählen, daß sie gerade ein Schnitzel für Fünf Euro fünfzig gegessen haben.

Hinter dem gerade ausgesprochenen Wort des einen steht das in unzähligen Stunden Durchdachte. Hinter dem gleichen gerade ausgesprochenen Wort des anderen steht – nichts. Es war nur eine Phrase.

Das Klischee ist die verleugnete Wahrheit derjenigen, die davon überzeugt sind, einmalig zu sein.

Am gefährlichsten erscheinen mir die sogenannten ‹normalen› Menschen, also die Hausfrauen, Büroangestellten und Beamten, die nichts anderes im Sinn haben, als freundlich «Guten Tag» zu sagen.

Er hat das Leben in vollen Zügen genossen? Er hat sich in vollen Zügen vom Leben abgelenkt!

Es gibt Menschen, die mit ihren verbitterten Gesichtern rücksichtslos ihr Tagesprivileg einfordern, indem sie – ohne nach rechts und links zu blicken – über jeden nur denkbaren Zebrastreifen gehen.

Kaum ein Mensch, der nicht die Bestätigung dessen will, was er ohnehin schon weiß. Ein Mensch sollte sich von niemanden beeindrucken lassen; am wenigsten von sich selbst.

Eine halbe Ernsthaftigkeit ist letztlich auch keine.

Niemand kann vor sich selbst entfliehen. Der Kleinbürger schon.

Nur weil er ein- oder zweimal aus dem Rahmen gefallen ist, glaubt er, nicht der zu sein, der er ist.

Der Kleinbürger ‹versteht› immer viel zu schnell, deshalb versteht er überhaupt nichts.

Ein Kleinbürger zeigt mit dem, was er ausspricht, immer nur sein Streben, unbedingt an jeder Oberfläche bleiben zu wollen.

Der Kleinbürger ist zum Bersten gefüllt mit Weltwissen aller Art. Nur weil er diesen umfassenden Wissensschatz niemals in Frage stellt, fühlt er sich der Welt gewachsen.

Souverän spielt der Kleinbürger auf der Tastatur der Halbbildung. Hat er zum Beispiel irgendwo und irgendwann mal den psychologischen Begriff der ‹Verdrängung› aufgeschnappt, wird er sogleich zum Verdrängungsspezialisten, indem er von nun an alles Menschliche mit Hilfe dieses Begriffes wegerklärt.

Solange der Kleinbürger genug zu essen und zu trinken hat, ist nichts von ihm zu erwarten. Wenn er jedoch eines Tages nicht mehr genug zu essen und zu trinken hat, wird er zu dem, was er schon immer war.



Erstellt: 28. November 2002 – letzte Überarbeitung: 29. Mai 2003
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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