BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Bruchstellen: ‹Verloren›»
von nele
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Es sind düstere Bahnen, in denen wir gleiten. Kein Tag vergeht ohne eine gefährliche Begegnung mit uns genossen zu haben. Gelegentlich belächeln wir sogar unseren vergessenden Blick auf unser gewaltsames Ende. Die Todesgewißheit trägt uns ach so sanft durchs Leben und macht uns zu Sklaven und Herrschern zugleich. Amen.

Wir verharren ewige Zeit vor unserem Selbstbild. Es ist nur eine Frage der Wahrnehmung - die betrinkt sich mit ausgiebigsten Floskeln über den Sinn des Lebens. So wird die Geschäftigkeit zu unserem Anliegen. Mit wohlgeformten, bunten Bildern übermalen wir unsere bitteren Angstkeime. Doch die ständig bröckelnde Fassade gebiert Monster einer diktatorischen Kontrolle, denen Genügsamkeit versagt ist. Es muss gesprochen werden, um zu verschweigen. Es muss versprochen werden, um zu hintergehen. Es muss gelogen werden, um die Wahrheiten zu ergründen. Es sind düstere Bahnen, in denen wir gleiten.

Äußerste Geschicklichkeit ist uns nicht beschieden. Kämpfe werden immer verloren und Vergebung ist nicht zu erwarten. Und wir schreiten voran. Weiter, immer weiter. Die Verdrängung treibt uns in Hektik, und Hektik vertreibt die Bedrohung. Glauben wir wirklich, dass Achill die Schildkröte nicht einholen wird?

Lass Dich angeschaut in Deiner Verstellung, die Dir allemal besser steht als Deine Wahrhaftigkeit. Ich liebe Dein Theater, Du Freund der Wahrheit! Mein Intellekt sieht Ehrlichkeit nicht vor, Schmerzen der Selbstbesinnung gehen verloren. Betrügen wir uns, denn wir sind wach und Glück nicht unser Ziel! Wo Du verloren gehst in der Klarheit, brennt in mir das wilde Feuer der Unsachlichkeit. Ich glaube gern an Illusionen. Du strahlst so benommen: Bin ich dem Untergang geweiht? Es sind düstere Bahnen, in denen wir gleiten.

Verloren stehe ich im Sumpf der Einsamkeit. Ich stehe gerne. Verflucht sind die Ideen, die aus der Ferne sich mir aufdrängen! Meine Arroganz ist mir eine treue Begleiterin und der Stolz meine tägliche Nahrung. Streiten wir uns, Du Gefährte des Einen! Du wirst sehen, wir gesunden beide.

Du verhallst im Gegenwärtigen und Dein Echo verklingt im Wissen. Dir bleibt das ehrliche Lachen über mich, auf dass ich darin vergänglich werde. Ich bewundere Deine Mühen! Der Sieg soll Dir gewiss sein und mir der Untergang meines Selbst! Gesunde durch meinen Niedergang! Es sind düstere Bahnen, in denen wir gleiten.

In Deinen Augen strahlt der Glanz des Gewöhnlichen. Ich bewundere Dein riesiges Schloss. Prächtige Paradoxien verhungern in Deinem Reich der rationalen Langeweile, Aporien vergilben zu schmerzfreien Eindeutigkeiten. Es ist klar: Du bist der Wächter über Deine unermesslichen Schätze im leeren Raum der Gefühle. Was für eine grandiose Verschwendung! Du feilschst mit größter Hingabe um faule Kompromisse, mit denen Unstimmigkeiten ausradiert werden. Wo werden sie hinradiert? In das Lager des kleinsten gemeinsamen Nenners. Dort werden Deine Gedanken hartnäckig getrimmt und peinlichst genau abgeschliffen bis sie winzig und gleich sind - Streichhölzern gleich. Was für ein fantastisch organisierter Aufwand! Ich bestaune neidisch Deine verstümmelten Empfindungen. Was machst Du mit den Schleifabfällen?

Hektik vertreibt die Bedrohung durch die Müllberge der abgeschliffenen Streichhölzer und so schreitest und schreitest und schreitest Du voran - gegen mich - gegen alles. Du hast den Kampf begonnen ohne Hoffnung auf Vergebung, wie ungeschickt. Ich ergründe Deine Lügen, hintergehe Deine Versprechen und spreche über das Verschwiegene. Meine Genügsamkeit ist Deine Kontrolle. Aber Monster sind nicht zu kontrollieren. Sie reißen Löcher in die wohlgeformten Bilder, welche Du über die Angstkeime malst. Denn es keimt. Deine ausgiebigen Floskeln über den Sinn des Lebens werden überwuchert. Dein Selbstbild verschwindet im Flammenmeer der selbstentzündeten Streichhölzer. Die Todesgewißheit trägt Dich ach so sanft aus dem Leben. Als totes Blatt Papier, beschrieben mit Deiner Biographie, weht Dich der Wind der Vergänglichkeit hinweg. Und ich? Ich genieße meinen erwachenden Blick auf Dein gewaltsames Ende. Verloren bist Du. Verloren sind wir alle. Denn es sind düstere Bahnen, in denen wir gleiten.



Erstellt: 2. Dezember 2005 - letzte Überarbeitung: 19. Dezember 2005
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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