BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer»
von Henriette Orheim
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«Wahrnehmung ist nie passiv.
Wir sind nicht nur Empfänger der Welt;
wir stellen sie auch aktiv her.
An jeder Wahrnehmung ist etwas Halluzinatorisches,
und Illusionen sind leicht herzustellen.»
(Siri Hustvedt)

Es ist ungewöhnlich, daß gleich zwei Buchgeschichten über eine Autorin in unserem Skepsis-Reservat erscheinen, aber Leichtigkeit, Klugheit und Tiefe von Siri Hustvedts neuem Roman zwingen uns dazu. In meiner Besprechung ihres Buches ‹Being a Man› schrieb ich dies:

«Ich möchte vorausschicken, daß ich kleine kluge Essays sehr mag. Sie haben für mich, wenn sie in anmutiger Form verfaßt wurden, zum einen etwas anziehend feuilletonistisches, für den Tag geschriebenes, zum anderen aber eben auch, und das verschafft das besondere Vergnügen beim Lesen, etwas weitreichenderes, bestimmte Zeitläufte und soziale Räume widerspiegelndes, kulturphysiognomisches, lebensvolles, ja, ethnographisches. Und im besten aller Fälle erfährt die Lesende solcher geglückter Essays etwas über die essentiellen Grundprobleme unseres Daseins und über Möglichkeiten der Weltbewältigung.»

Tja, so ist das, und wieder hat Siri Hustvedt kleine kluge Essays verfaßt und in einen Roman gezaubert. In den Essays geht es um die Beziehung zwischen Männern und Frauen, um Liebe, Sexualität, das Altern, den Tod – und vor allem auch um das Jungsein. Immer wieder webt Siri Hustvedt ganz wundervolle kleine Exkurse in ihre eigentliche Geschichte ein. Ja, und um was geht es jetzt in ihrem Roman? Hm, das erzähle ich Ihnen nicht, lieber Leser, liebe Leserin. Nur so viel: Es geht um Jane Austens ‹Persuasion›, um D.H. Lawrence, um Kant und Hume, und einen Lyrikkurs für pubertierende Mädchen («voll cool!», «voll uncool!», «voll krass!»).

Aber was mich besonders getroffen hat, war, daß Siri Hustvedt sich in ihrem tollen Roman an einige alte Filme erinnert, die ich auch ganz besonders schätze und immer wieder ansehe. Es ist seltsam, aber ich frage mich, warum Siri Hustvedt ausgerechnet diese Filme mag? Das berührt mich, sehr. Es sind:

Clark Gable und Claudette Colbert in Frank Capras ‹It Happened One Night› von 1934;
Cary Grant und Irene Dunne in Leo McCareys ‹The Awful Truth› von 1937;
Cary Grant und Rosalind Russell in Howard Hawks ‹His Girl Friday› von 1940 und
Cary Grant und Ingrid Bergmann in Alfred Hitchcocks ‹Notorious› von 1946.

Was soll ich Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, noch über diesen ‹Sommer ohne Männer› (März 2011, Rowohlt) erzählen? Ach ja, immer wieder streut Siri Hustvedt Gedichte ein, die den Lauf der Handlung begleiten. Könnte Ihnen das gefallen?

«Wir müssen uns alle von Zeit zu Zeit das Recht auf Projektionen zugestehen, die Gelegenheit, uns in die imaginären Roben und Abendanzüge dessen zu werfen, was nie war und nie sein wird. Das poliert unser mattes Leben etwas auf, und manchmal können wir einen Traum statt eines anderen wählen und in dieser Wahl etwas Erholung von der gewöhnlichen Traurigkeit finden. Schließlich kann keiner von uns allen das Knäuel von Fiktionen entwirren, die jenes wacklige Ding bilden, das wir Selbst nennen.»

Ach, so ein schönes Buch!



Erstellt: 21. März 2011 – letzte Überarbeitung: 31. März 2011
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