BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Zweiter Teil»
von Lisa Blausonne
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Während der ersten Besuche in San Francisco, in denen wir beschlossen, hierher zu ziehen, absolvierten wir wichtige Teile des Besucherprogramms, das obligatorisch ist: Mit dem Rad über die fast 3 km lange Golden-Gate-Brücke zu fahren; an der Bucht die Reste des Sutro Bath zu bestaunen, in dem sich einmal 20 000 Schwimmer unter einer Glaskuppel tummelten (und ich wieder verwundert war, dass ich dies nicht kannte); die Seelöwen zu besuchen, die sich mitten am Hafen sonnen und frei kommen und gehen; einen Espresso zu trinken am North Beach, wo die Beat-Generation zu Hause war und Jack Kerouac auf einer einzigartigen Papierrolle sein Buch in drei Wochen herunter schrieb; am Union Square zu shoppen; Rodins ‹Denker› am Palace of the Legion of Honor zu betrachten; Cable Car zu fahren; das San Francisco Museum of Modern Art zu besuchen und im Napa Valley zu Zeiten des Indian Summers Wein zu trinken. Die Lombard-Street, die krummste Straße der Welt, habe ich nur im Vorbeifahren gesehen und mich gewundert, wieso hier so viele Touristen sind; nur weil man die Straße aus vielen Filmen kennt?

Warum leben Menschen gerne hier? Wir als Deutsche mögen vermutlich die Lebensqualität aufgrund der guten klimatischen Bedingungen, und wir freuen uns darüber, daß der Umweltschutz in Kalifornien schon lange ernster genommen wird als in anderen Ländern. Es gibt hier eine erstaunliche Achtsamkeit in Umweltfragen. Die Cable Cars und die Busse verursachen zum Beispiel keinerlei Ausstoß, es gibt viele Hybrid-Autos, das Wegwerfen von Müll wird hart bestraft und es gibt überhaupt keine hässlichen und unpassenden Hotelhochbauten. Die schönen Hügel, die viktorianischen Häuser, den Blick auf die Bucht, die Spaziergänge durch die vielen grünen Parks oder am Meer entlang, das gesunde Essen und die Möglichkeit, überall mit dem Rad zu fahren oder zu joggen gäbe es in anderen Orten nur bedingt. Und natürlich wäre das Yoga- und Tango-Angebot weit weniger vorhanden. Und nicht zu vergessen das Geheul der Feuerwehrautos, welches ich schon jetzt nicht mehr missen will.

Meine Vermutung bewahrheitet sich: Europäer sind Asiaten näher als den Amerikanern; zumindest glaube ich, dass die deutsche Kultur der japanischen ähnlicher ist als die amerikanische. Auch wenn dies pauschal klingt, ich bleibe trotzdem dabei. Und verifiziere diese These damit, dass ich den Tag mit einer Zenmeditation und grünem Tee beginne, im japanischen Viertel mit einem Saunabesuch in einem japanischen Bad entspanne und zu Abend beim vegetarischen Japaner an der Mission-Straße esse.

Die Amerikaner machen einfach vieles anders als die Europäer. Und nur weil wir den Amerikanern, sofern sie hellhäutig sind, im Äußeren ähnlicher sind als zum Beispiel Asiaten, denken wir, wir könnten einander verstehen. Das ist eine Illusion. Dialog in einer Schlange im Postamt: Er: «Hey, du schreibst deine Postkarte während du in der Schlange stehst. Sehr effizient». Ich, mit Blick auf seine Aktivität auf seinem Blackberry: «Du machst exakt das gleiche, meine Art ist nur veraltet». Er: «Du kommst aus Deutschland? Ich komme aus UK. Weißt du was, ich lebe seit zwei Jahren mit meiner Frau hier und unsere Freunde sind ausschließlich Europäer. Ich verstehe die Amis einfach nicht, sie sind so anders». Er schaut sich um und flüstert die letzten Worte, fast verschwörerisch.



Erstellt: 17. Januar 2008 – letzte Überarbeitung: 28. Januar 2008
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