BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Vierter Teil»
von Lisa Blausonne
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Die Verkäuferin sagt: «Aus Deutschland! Mein Bruder wohnt auch dort, in Belgien». Die Europäer lachen gerne über dieses Nichtwissen, aber seit ich weiß, dass ich nicht weiß, wie die Hauptstädte von Iowa, Oregon oder Missouri heißen und wo die verschiedenen Bundesstaaten liegen, lache ich nicht mehr. Die erweiterte EU ist flächenmäßig nicht einmal halb so groß wie die USA, hat jedoch mehr Einwohner.

Meine Freunde fragen, wie wir den Schneesturm erlebt haben. Der Sturm fand in Chicago statt. Paul sagt dazu: «Wenn in Norwegen Schnee fällt, kommt auch kein Mensch auf die Idee zu fragen, ob es in Lissabon kälter geworden ist. Wir haben keine Vorstellung über die Größe des Landes, wenn man nicht hier war».

Die meisten Amerikaner, die ich spreche, sind gegen die Politik von Bush und vor allem gegen den Krieg und wünschen ein Ende. Gerade in San Francisco wohnen viele Intellektuelle; auch durch die Nähe zu den Universitäten Berkeley und Stanford. Ich lese aber auch an Autos Aufkleber, die ernst gemeint sind: «Gegen den Krieg, unterstützt die Truppen, um zum Ende zu kommen».

Heute ist es nebelig in San Francisco. In dem Haus gegenüber, das an unseren Garten angrenzt und dessen Veranda bunte Fähnchen schmücken, sitzt eine Nachbarin mit bunt geringelten Socken auf dem Dach und malt, derweil ich in unserem Balkonzimmer sitze und schreibe. Sie wohnt in dem ‹Hippie-Haus›, wie es von der Besitzerin, einer alten Dame, selbst genannt wird. Nebenan probt eine Band junger Musiker. Ich vermute, sie wohnen teilweise zusammen in einer WG. Ein paar reisen an, ich habe mal einen mit dem Cello kommen sehen. Sie spielen Jazz, der schön schräg klingt. Ich bin versucht zu klingeln, um mich einfach dazuzusetzen und zuzuhören.

Ich bummle durch die Stadt und sehe weniger Starbucks-Cafés als in Hamburg oder Kopenhagen. Ich bin beruhigt. San Francisco ist so wunderbar unamerikanisch. Spätnachmittags fahre ich ans Meer, das keine 15 Minuten von zu Hause entfernt ist, um spazieren zu gehen. Es ist auch hier Winterzeit, ohne Jacke ist der Wind zu kühl. Ich schlendere am Pazifik entlang, betrachte ein paar Surfer, dahinter spielt sich für Kalifornien ganz würdevoll ein Sonnenuntergang höchster Güte ab; in kitschig kürbisgelben und sonnenblumenroten Farbschlieren verabschiedet sich die Sonne, die in Deutschland schon längst untergegangen ist. Und es ist mir plötzlich egal, dass ich meine Steuerunterlagen der letzen drei Jahre noch nicht bearbeitet habe, die zu Hause neben vielen unausgepackten Umzugskartons liegen.

Abends leihe ich mir eine DVD in dem Videoladen nebenan aus. In Deutschland wäre es mir peinlich, da dies ein eindeutiges Zeichen echter Einsamkeit ist. Ich plaudere mit dem jungen Verleih-Menschen und frage rein aus Mitgefühl, wie lange er noch zu arbeiten habe. Er wird daraufhin knallrot. Und ich versuche, ihm das Gefühl zu nehmen, dass ich ihn anmachen wollte. Meine Güte, man kann so viele Fehler machen.



Erstellt: 20. Januar 2008 – letzte Überarbeitung: 28. Januar 2008
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