BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Siebter Teil»
von Lisa Blausonne
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Ich reise für kurze Zeit nach Deutschland, in die alte Heimat, um eine Aufgabe zu erledigen. Hier werden mir plötzlich zwei Unterschiede bewusst, auf die ich vorher nicht geachtet hatte: Zum einen rauchen die Menschen in Deutschland sehr viel mehr als in den USA – überall auf öffentlichen Plätzen und Straßen wird geraucht – und zum anderen haben die Menschen in Deutschland nicht so weiße Zähne. In Amerika sind strahlend weiße Zähne sehr wichtig, Paul erzählt zum Beispiel, dass sich seine Kollegen mittags im Büro die Zähne putzen. Überhaupt wird auf Krankheitsvorbeugung und Prophylaxe in San Francisco sehr viel Wert gelegt, auf Plakaten wird etwa auf Grippeimpfungen aufmerksam gemacht, Bürgerinitiativen verteilen Zettel zur Vorbeugung von Brustkrebs, Lebensmittelketten bieten ‹Gesundheitsessen› an und so weiter. Vielleicht liegt es daran, dass so viele Menschen in den USA keine Krankenversicherung haben (vor zwei Jahren waren es 46 Millionen) und versuchen, vorsichtiger und gesünder zu leben? Als Paul und ich vor meiner Abreise in San Francisco bei unserem Lieblingsitaliener um die Ecke essen waren, gab es auf der Rechnung plötzlich eine 4%-Extra-Charge, womit wir die Krankenversicherung der Angestellten dieses Restaurants unterstützen sollten, gemäß einer Kampagne, in der Arbeitgeber in San Francisco neuerdings für die Krankenversicherung ihrer Angestellten sorgen müssen.

Ich bin in Deutschland zur kalten Jahreszeit, es regnet viel. Hier läuft das Wasser von den Straßen weg, es gibt keine Stauungen oder Überflutungen wie zu Hause in Kalifornien. Die Straßen in Deutschland sind insgesamt in einem unglaublich guten Zustand, dass es keine Schlaglöcher gibt, ist mir früher nicht so aufgefallen. Es hupen auch viel weniger Autos als in in San Francisco, denn dort werden die Wagen grundsätzlich per Fernbedienung und auf Knopfdruck abgeschlossen, und das hupt eben. Also hupt in San Francisco den lieben Tag lang immer irgendwo ein Auto.

Durch meinen Aufenthalt in Deutschland merke ich auch erst, woran ich mich in Amerika bereits gewöhnt habe: Ich warte in San Francisco zum Beispiel selbstverständlich am Eingang eines Restaurants auf einen Menschen, der mich zu einem freien Platz bringt. Wenn ich in Deutschland am Eingang eines Restaurants warte, passiert lange nichts, bis ich endlich merke, dass Gäste sich hier einfach setzen dürfen, wohin sie wollen. Auch an die vielen sehr dicken Menschen und die sehr großen Autos in San Francisco habe ich mich schon so gewöhnt, daß ich in Deutschland erstaunt bin, dass ich Menschen und Kinder beobachten kann, die das Gehen und Laufen noch beherrschen und Autos sehe, die mich nicht an ein Monster-SUV erinnern. In San Francisco haben auch fast alle Leute auf der Straße zwei Knöpfe im Ohr, etwa von einem iPod. Auch telefonieren die Menschen in der Öffentlichkeit immer und zu jeder Zeit. Ich wundere mich auch sehr, dass ich Sonntags in Deutschland nicht einkaufen gehen kann, denn daran habe ich mich in den USA sehr schnell gewöhnt.

Noch ein Unterschied ist auffällig: Die Deutschen essen mit Messer und Gabel, in Amerika wird dies jedoch als elitär abgetan, man rümpft die Nase darüber. In den USA gehört es zur Esskultur, zuerst das Essen mundgerecht klein zu schneiden, dann das Messer wegzulegen und gegen die Gabel auszutauschen, um sich dann – während die freie Hand auf dem Knie oder auf dem Tisch ruht – das Essen mit der rechten Hand in sich hineinzuschieben. Wenn es geht, telefoniert man auch dabei oder schaut mit einem runden Rücken Fernsehen.

Zurück in Amerika spaziere ich durch die Straßen und freue mich über die Sonne und die Kabellandschaften über mir. Mir fallen die schönen und irgendwie künstlichen und glatten Gesichter vieler Frauen auf, die mir im Flughafen, in den Geschäften und auf der Straße begegnen. Botox? Wenn ich mich jetzt im Spiegel betrachte denke ich immer darüber nach, wie mein Gesicht wohl nach der Einspritzung eines Schönheitsmittels aussehen würde. Seltsam, diese Fragen haben mich doch sonst nie interessiert.

An meinem Geburtstag entdecke ich mein erstes weißes Haar und lache darüber. Denn wie zu meiner Beruhigung hat mich neulich beim Kauf von alkoholfreiem deutschen Bier der Verkäufer mit eindringlichem Blick gefragt, ob ich bereits 21 sei. Ich war sprachlos.



Erstellt: 29. März 2008 – letzte Überarbeitung: 1. April 2008
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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