BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Amerikanische Bilder: Elfter Teil»
von Lisa Blausonne
Als PDF-Datei laden

Nachdem ich drei Tage auf einem Kongress in San Francisco war und drei Tage wenig mehr als ein riesiges Hotel von innen gesehen habe, beschließe ich, für zwei Tage nach L.A. zu reisen. L.A. ist die amerikanische Kulturhauptstadt des 21. Jahrhunderts; so steht es in meinem Reiseführer. Man solle sich darauf gefasst machen, Berühmtheiten zu treffen. Die Sicherheitsbestimmungen am Flughafen sind wie überall auf der Welt sehr streng; eine aussagelos schauende Dame vom Bodenpersonal fischt mich aus der Schlange der Wartenden heraus und durchsucht mich besonders gründlich in einem Sonderraum mit Supersensoren. Auf meine Frage, warum man mich ausgesucht hat, antwortet die Dame kühl, ich hätte mein Jackett angelassen, das sei verboten. Ich frage mich, warum mich darauf niemand hinweist. Sie geben sich die Mühe erst gar nicht.

Während ich auf der kurzen Reise nach L.A. aus dem Fenster schaue und träume, denke ich über den Kongreß nach. Es war einer der zentralsten und wichtigsten für meinen Berufszweig; welch Zufall, dass er dieses Jahr in San Francisco stattfand. Und was mir an den Rednern und Vortragenden besonders auffiel, war deren ‹amerikanische› Präsentationsfähigkeit: Jeder Redner wirkte locker, machte relativ lustige Witze und war ein geübter Rhetoriker. Amerikaner lernen vermutlich schon in den Schulen Präsentations- und Kommunikationstechniken. Ich empfand das Zuhören als sehr angenehm, was für Kongresse in Deutschland nicht immer gilt. Und noch eins ist mir im Vergleich zu Deutschland aufgefallen: Frauen tragen die Haare offen, meist stark gestylt mit viel Haarspray, was in Deutschland außer Mode ist. Die deutschen Managerinnen tragen lange Haare recht streng zum Zopf zurück gebunden, das gehört zur Business-Etikette. In Amerika sehen die Managerinnen eher aus, als wären sie auf dem Weg zu einem Fotoshooting.

Der Flieger landet auf dem Flughafen „John Wayne“ in Santa Ana, südlich von L.A., es ist heißer als in San Francisco, die Luft schwül. Eine Bronzestatue von John Wayne steht überlebensgroß am Eingang. Damit wird augenblicklich deutlich, wo ich mich befinde, in der Welt von Hollywood und Walt Disney, im Herzen der Welt der Illusionen und Träume. Ich habe Zeit, mir L.A. Downtown anzuschauen, bis zu meiner Verabredung abends mit Paul, der in der Nähe von L.A. arbeitet. Ich schlendere durch die Mega-Stadt, habe meinen Reiseführer in der Hand und staune über die gewaltig breiten Straßen und Gebäude. Warum die Amerikaner so große Autos fahren und nie zu Fuß gehen? Weil die großen Autos sicherer sind, als die kleinen. Fußgänger sind gefährdet und im Auto ist man sicherer. Solche Antworten bekomme ich von Amerikanern, wenn ich sie frage. Ich denke dann, wie das wohl in wenigen Jahren aussehen wird, wenn das Öl auf der Welt ausgeht und die Menschen plötzlich ihr Leben ändern werden.

Vor dem Museum of Contemporary Art stehe ich leider vor verschlossenen Türen. Ich gehe dann statt dessen in ein japanisch-amerikanisches Museum und besuche eine Ausstellung über die amerikanischen Konzentrationslager, in denen die in den USA lebenden, verfolgten Japaner im zweiten Weltkrieg nach Pearl Harbour zwangsumgesiedelt wurden. Menschen auf schwarz-weißen Bildern schauen aus einer vergangenen Zeit in die kühle Museumshalle. Ich bin die einzige Touristin neben vielen Schülern. Ich habe nicht mit der Wucht gerechnet, mit der mich die konkreten Geschichten berühren; die Ausstellungsstücke, nachgebaute Häuser, Dokumente, Briefe, Bilder, Zeichnungen, Kleidungen und Familienstammbücher, sind so anschaulich, dass ich mir manche Szenen im Leben der Verfolgten vorstellen kann. Es geht mir durch Mark und Bein.

Zurück auf der Straße erwartet mich eine beruhigend normale Stadt, die warme Sonne in meinem Gesicht tröstet mich. Ich gehe mal wieder japanisch-vegetarisch essen. Neben mir sitzen zwei Frauen, die sich sehr laut und in einer typisch hohen Stimmlage unterhalten und zwischendurch laute Überraschungstöne von sich geben. In Deutschland hätte ich mich umgedreht und es als störend empfunden. Hier finde ich das normal. Als eine der Frauen geht, wendet sich die andere sofort an mich und verwickelt mich ein ein nettes Gespräch über Europa. Ihre Familie hat deutsche Wurzeln.

Dann lasse ich mich von der Konzerthalle von Frank Gehry faszinieren; insbesondere der abgelegene Garten auf dem Dach des Gebäudes, zu dem nur wenige Menschen finden und leise sprechen, zieht mich an. Er stellt mit dem verspielten Brunnen und den Blumen einen Kontrast zu der kühlen Fassade dar. Danach gehe ich in die Kathedrale „Of our Lady of the Angels“ und freue mich über die Alabasterfenster. Aus Versehen betrete ich ein Regierungsgebäude, um die Toiletten zu besuchen und bemerke beim Hinausgehen, das „Betreten verboten“ - Schild. Mich hat niemand aufgehalten. Vielleicht sehe ich doch nicht aus wie eine Touristin. Ich fahre mit einem Auto zu meiner Verabredung – nicht ohne Stolz, dass ich in dem verwirrenden Verkehrsnetz der Autobahn ohne Schwierigkeiten den Weg finde. Wir treffen uns in Orange County, ein Bezirk südlich von L.A., und fahren dann zum Essen nach Newport Beach, eine Hafenstadt direkt an der&xnbsp;Pazifikküste gelegen. Hier lebten neben amerikanischen Prominenten wie John Wayne&xnbsp;auch deutsche Fußballstars und berühmte Trainer. Newport Beach ist eine der reichsten&xnbsp;Städte&xnbsp;Amerikas. In den Abendstunden ist es ein beschaulicher, ruhiger Ort mit wehenden Palmen am tobenden Meer vor einem Sonnenuntergang. Das klingt wie eine allzu lieblose Beschreibung, der Ort sieht aber auch aus, als stünde man vor einer Fototapete.

L.A. ist eine andere Stadt als San Francisco, ein anderes Amerika. Hier wird zum Beispiel durch Werbung und Mode deutlicher, dass die Amerikaner Baseball, Football, Basketball und Autorennen lieben. Es stellt eins der amerikanischen Paradoxe dar: Viele Amerikaner lieben ihren Sport, dennoch würden viele ihr Sofa und ihre Kartoffelchips nicht verlassen, um diesen Sport aktiv zu betreiben.

Paul bestätigt mir beim Abendessen, dass seine Kolleginnen einen hohen Aufwand in ihr Äußeres stecken. Sie seien nicht immer besonders gut gekleidet - viele tragen auch zu kurze oder zu bunte Kleider - aber immer sehr auffällig. Er erzählt mir auch, dass ihm seine Kollegen dringend geraten haben, die Bürotür immer dann geöffnet zu lassen, wenn man als Mann alleine mit einer Frau im Raum ist. Das Risiko, wegen sexueller Belästigung angeklagt zu werden, sei sehr hoch, und es sei zu gefährlich, sich dem auszusetzen.

Am nächsten Tag fliegen wir gemeinsam nach Hause. Es ist Wochenende. Paul geht zum Segeln. Ich sitze im Garten und schreibe an meinem Buch. Zwei Erdhörnchen flitzen auf den Holzlatten des Gartenzaunes hintereinander her, ein Kolibri schwirrt vorbei, ein blauer Vogel setzt sich auf den Ast der Zypresse neben mir und singt. Ich komme mir vor wie im Paradies.



Erstellt: 15. Mai 2008 – letzte Überarbeitung: 16. Mai 2008
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
Alle Rechte vorbehalten.
Bitte senden Sie Ihre Kommentare zu diesem Text per E-Mail
an unseren Sachbearbeiter Dr. Artus P. Feldmann.