BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Single»
von Lisa Blausonne
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Es ist also wieder einmal Samstagabend, und ich habe nichts vor, keine Verabredung, keine Einladung, keine Vernissage. Draußen dämmert es langsam, der Herbstwind weht weich die Blätter vom Gehweg, und ich sitze in meiner kleinen Wohnung - und lese. Meine beste Freundin, die leider in einer weit entfernten Stadt wohnt, rief mich gerade an und bezeichnete mich als Freak, was durchaus als Schimpfwort gemeint war. «Du kannst doch nicht samstags alleine zu Hause hocken und lesen, das ist echt nicht normal. Du bist jung, attraktiv, und Du brauchst eine Beziehung.»

Schön, wenn sie das so überzeugend sagt. Sie könnte es wissen, schließlich steckt sie seit Jahren in einer Beziehung. Ich bin fast 30 und nie verheiratet gewesen. Ich habe auch keine Kinder aus Versehen bekommen und bin darüber sehr froh, denn ich mag gar keine Kinder um mich herum flitzen sehen. Ich arbeite gerne und viel. Ich esse sonntags früh niemals kiloweise Schokolade aus Einsamkeitsfrust. Ich jogge statt dessen gerne durch meinen Lieblingswald. Mir geht es gut, ich fühle mich normal. Was soll ich also machen, um ‹normaler› zu werden?

Zugegeben, es gibt Momente, in denen ich es als Verschwendung empfinde, schöne Sachen alleine gestalten zu müssen und sie nicht mit jemandem teilen zu können, etwa wenn ich ein 3-Gänge-Menü für mich alleine koche, oder wenn ich bei einer guten DVD alleine vor mich hinlache. Mir ginge es auch besser, wären nicht all die glücklichen Paare um mich herum, die nie alleine ausgehen und nur zu zweit zu haben sind. Und ich wäre glücklicher, wenn mir meine Freunde nicht dauernd suggerieren würden, mir fehle etwas, und wenn ich nicht fortgesetzt lächerlich layoutete Einladungen zu Hochzeiten bekommen würde - allerdings wette ich dann, mir zum Trost, heimlich mit mir, ob dieses aktuelle Eheversprechen länger als 5 Jahre halten wird.

Ich höre eigentlich gerne auf meine Freundin, die eben anrief. Sie prophezeit mir, daß ich einer ‹Persönlichkeitsstörung› entgegensehe, wenn ich nicht endlich etwas täte. Aber was? Eine meiner Kolleginnen, die sehr verwundert darüber ist, daß ich nun schon ein Jahr ‹alleine› bin, riet mir vor ein paar Tagen, zuerst mal einen Fernseher zu kaufen. Das kam so: Sie fragte mich, ob ich nicht mit ihr zu einer ‹Sex-in-the-City-Party› gehen wolle, da wären alle ‹auf der Suche›. Als ich dann meinte, daß ich nicht auf der Suche sei, diese Sendung nie gesehen hätte und zudem nicht wüßte, wie ich mich verkleiden sollte, sagte sie nur mitleidig: «Lisa, die Party heißt so, weil wir uns zusammen die Sendung angucken. Da verkleidet sich keiner!». Na ja, ich habe diese Veranstaltung gemieden. Statt dessen bin ich in meinen Zen-Kurs gegangen.

Und ausgerechnet da, im Zen-Kurs, an einem Ort der Stille, passiert es: Vorletzte Woche habe ich doch einen umwerfenden, gut aussehenden jungen Mann kennengelernt, der mir von Anfang an so nett zuzwinkerte. Ach, ein Mann - Arzt, wie er beiläufig erwähnt -, der sich für Zen interessiert! Und wie er mich anlächelt! Ich bin entzückt. Verstohlen schaue ich auf seine Hände, kein Ring weit und breit. Aber dabei fällt mir auf, wie schön seine Hände sind. Ich sterbe innerlich vor Entzücken. Er lächelt immer noch, will mich zur Bahn bringen, schraubt sich ein «Wie schade!» heraus, als ich aussteige, und vermittelt mir das Gefühl, echt etwas ganz besonderes zu verpassen, wenn ich jetzt meine Bahn gen Ruhrgebiet nehme. Er ruft aus seinem Wagen: «Sollen wir nächste Woche nach dem Kurs essen gehen?»

Beschwingt vergeht die Woche und endlich sitzen wir in einer Bar und schauen uns verzückt an. Er plaudert davon, daß er am Wochenende in Rom war, zu seinem 40. Geburtstag und murmelt etwas von «Deinen Geburtstag könnten wir ja dann in Florenz feiern.» Ich werde mißtrauisch. Ich frage ihn betont sachte: «Sag' mal, alleine in Rom Geburtstag feiern - mit wem stößt man denn dann an?» Er sagt verlegen: «Och, ähm, nein, ich war nicht alleine dort. Mit meiner Frau und meiner Tochter.»

Schweigen. Ich schlucke ungläubig. So, also, verheiratet, Tochter. Warum zum Teufel flirtet diese Gurke mit mir? Ein kleiner Eisball macht sich in meiner Magengegend bemerkbar. Ich drehe an meinem Glas und sage «Ach so, na dann!» und denke erstaunt darüber nach, welche Komödien unsere Zeit doch parat hält. Er stammelt: «Ja, ähm, das ist jetzt blöd, ne? Also, daß ich verheiratet bin. So ganz läßt sich das jetzt nicht wegdenken.» Nein, nicht so ganz. Er könnte mir auch einen Multiple-Choice-Zettel hinhalten, auf dem die Frage steht: «Willst Du eine kleine Nebenbeziehung?» Und darunter als Antwortmöglichkeiten: «Ja», «Nein», «Ich will nur Sex haben!» Selbstverständlich hofft er, daß ich die letzte Variante ankreuze.

Klingt das jetzt ordinär? Nein, so sind unsere Zeiten, es sind ordinäre Zeiten, in denen Paare sich über das Internet suchen und dabei komische Tests ausfüllen, um den ‹passenden Richtigen› zu finden. Es sind Zeiten, in denen Spielregeln für die verschiedenen Lebensabschnittszeiten so festgelegt werden, daß von einer Verantwortung für den momentan ‹Anderen›, der doch immerhin auch auf unseren Pfaden wandelt, keine Rede ist. Es sind Zeiten, in denen gefrustete Ärzte in der Quarterlife-Crisis den Ehering im Portemonnaie verstecken und versuchen, eine fast 30-jährige Autorin aufzureißen. Bah.

So ist es also wieder einmal Samstagabend, und ich habe nichts vor, keine Verabredung, keine Einladung, keine Vernissage. Draußen dämmert es langsam, der Herbstwind weht weich die Blätter vom Gehweg, und ich sitze in meiner kleinen Wohnung auf meinem Lieblingssessel, trinke Rotwein, höre leises Klaviergeklimper - und lese. Und ab und zu empfinde ich einen Stich im Herzen, wenn ich an die Unverfrorenheit dieses schönen Arztes denke. Und ich bin glücklich darüber, das mir angebotene Spektakel ausgeschlagen zu haben.



Erstellt: 29. Oktober 2004 - letzte Überarbeitung: 29. Oktober 2004
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