BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Über das Jungsein»
von Albertine Devilder
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Ich habe zwei sehr nette junge Neffen, Brüder, so etwa 12, 13 Jahre alt, junge Jungs also. Ich freue mich immer sehr, wenn ich die Gelegenheit habe, sie zu besuchen. Denn dann erfahre ich ‹vor Ort› und ‹in vivo›, was es heißt, in diesen Zeiten jung zu sein. Ok. ok., ich weiß, es gibt Leute, die ein ‹Jungsein› gern über alle Zeiten und alle Kulturen hinweg generalisieren möchten und so vom Prinzip des ‹Jungseins› sprechen. Dann heißt es in aller Regel, die ‹Jugend› sei schon immer soundso gewesen. Was ist mit soundso gemeint? Nun, da wird es dann eben spannend, denn jetzt kommen die sozialen Räume ins Spiel, in denen sich diejenigen bewegen, die soeben über irgendein ‹Jungsein› urteilten. In altbacken konservativen Kreisen beklagt man sich dann zum Beispiel gerne darüber, daß junge Leute, die einem begegnen, nicht unaufgefordert und in fröhlichem Ton die grobe Tageszeit zurufen (Guten Morgen - Mahlzeit - Guten Abend), und damit ‹unhöflich› seien, oder daß junge Leute nicht genau wissen, was sie wollen, insbesondere, werden wollen, und damit ‹unmotiviert› seien. Nun ja, diese verallgemeinernden und dummen Urteile sagen uns einiges -nicht viel - über die Urteilenden, aber nichts über die jungen Leute, über die diese Urteile gefällt wurden.

Wenn wir mehr über das ‹Jungsein› erfahren wollen, müssen wir uns nicht nur aus den überflüssigen Eigenschaftsmodellen zur Betrachtung anderer Menschen verabschieden, sondern erst einmal wieder lernen, genau hinzugucken. Wer macht das schon? Oder besser: Wer kann das schon? Und überhaupt: Gibt es denn Beobachtungen, die nicht nur auf den Beobachter verweisen? Klar, und die ‹Bochumer Arbeitsgruppe› hat die Methoden dazu erfunden: Wirklichkeitsprüfungen. Wirklichkeits-was? Lieber Leser, liebe Leserin, keine Bange, ich zeige ihnen, wie das geht! Das Motto ist: Nicht Schlußfolgern, sondern Gucken!

Während meines letzten Besuchs bei meinen Neffen entstand die Idee, gemeinsam mit weiteren Verwandten auszugehen und ein Restaurant aufzusuchen. Und jetzt wurde es sehr nett, denn meine beiden Neffen meinten, sie müßten sich noch ‹umziehen› und ‹schön› machen. Da ich als Kulturphysiognomin im Dauereinsatz sehr interessiert daran war, zu sehen, was sie unter ‹umziehen› und ‹sich schön machen› verstanden, folgte ich ihnen nach einer kurzen Weile in ihr Gemach. Nun, zunächst gab es eine Enttäuschung, denn die beiden Jungs hatten sich jeweils nur ein anderes Shirt angezogen, welches sich von dem vorherigen kaum unterschied. Hm, dachte ich, war das schon das ‹Schönmachen›?

Zum Glück aber war der Verwandlungsprozeß noch nicht beendet, denn die beiden Jungs gingen nun ins Bad und werkelten an ihren Haaren herum, indem sie - kritisch und prüfend in den Spiegel guckend - aus einer Tube irgendein Gel gekonnt in ihre Haare praktizierten. Ich stellte mich in die Tür und sah ihnen zu. Jetzt wird es spannend, dachte ich, sollten diese beiden zarten männlichen Teenager schon metrosexuelle Anwandlungen haben? Sie kennen ja den trefflichen Scherz, lieber Leser und liebe Leserin, daß man metrosexuelle männliche Wesen leicht daran erkennen kann, daß sie mehr Zeit im Bad verbringen als weibliche Wesen. Aber hier ging es doch um zwei 12 - 13 jährige Jungs! Konnten die denn schon metro sein? Ich war gespannt, wie ein Jäger auf dem Hochsitz, wenn Sie mir diesen schändlichen Vergleich verzeihen können.

Ich sah den beiden also ziemlich begeistert zu, um dann objektiv, reliabel und valide festzustellen, daß es außer der relativ kurzen Werkelei an ihren Haaren keinerlei andere Verschönerungsaktionen gab: Keine Parfüms, keine Ausgeh-Tagescreme, kein Rouge etc. Kurz, ich hätte deutlich mehr Zeit gebraucht, um mich ‹schön› zu machen, wenn ich nicht ohnehin immer ‹schön› wäre.

Schon waren die beiden also in ihrem Sinne verschönt. Und das hieß: Ihre Haare standen nun in anmutigen Clustern in verschiedene Himmelsrichtungen. Sie verließen das Bad und ich ging hinein und sah mir die Tube an, die sie benutzt hatten. Ich mußte so lachen, daß die beiden Jungs sich umdrehten und mich mit mehr als der üblichen Skepsis betrachteten. Aber das müssen Sie mir jetzt versichern, lieber Leser, liebe Leserin, hätten Sie sich nicht auch kaputt gelacht, wenn Sie die Aufschrift auf der Tube gelesen hätten? Wie, was denn drauf stand? Nun, dies: Goldwell Wild - Molding Gum, Gomme de Modelage, Modellier Creme. Das waren sozusagen Hersteller und Zweck des Fabrikats. Aber jetzt der Marken-Name, der mich so lachen ließ. Er lautete: SUPEREGO.

Kann denn da noch irgendetwas schief gehen, wenn man jung ist und SUPEREGO im Haar hat? Ach!



Erstellt: 5. Februar 2007 - letzte Überarbeitung: 6. Februar 2007
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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