BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Der Teflon-Mann: Eine neue ICD-Kategorie»
von Tanja Bracelet & Henriette Orheim
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Die Diagnose «Teflon-Mann» wurde in älteren Ausgaben des DSM-IV [1] DSM-IV: Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen. noch als «Angst vor dem persönlichen Stil» kodiert. Neuere Untersuchungen aus den USA und aus dem europäischen Raum haben jedoch unter Fachleuten hier zu einer anderen Einschätzung geführt. Deswegen wurde in Übereinstimmung mit den bisher veröffentlichten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen eine neue Kategorie definiert und für die nächste Revision des ICD-Systems [2] ICD: International Classification of Diseases. vorgeschlagen. Die Kategorie F 60.10: Der Teflon-Mann.

Der Teflon-Mann bezeichnet eine spezifische Persönlichkeitsstörung, die nur bei Männern zu beobachten ist. Und dies insbesondere in der psycho-sozialen Szene. Bemerkenswert ist die hohe Komorbidität von F 60.10 mit den nicht näher bezeichneten Intelligenzminderungen unter F 79. Auch Größenwahn und Überwertigkeitsideen treten oft in Verbindung mit F 60.10 auf. Darüber hinaus sind keine weiteren Komorbiditäten bekannt.

Hauptmerkmal der Persönlichkeitsstörung F 60.10 «Teflon-Mann» ist ein in den verschiedensten beruflichen und privaten Situationen auftretendes durchgängiges Muster «Teflon-Matrix», welches durch (unten näher bezeichnete) Eigentümlichkeiten im Bereich der Vorstellungen und des Verhaltens sowie durch Mängel in zwischenmenschlichen Kontakten, Diskursen und Beziehungen gekennzeichnet ist. Der Betroffene ist insbesondere immun gegenüber affektiven Auffälligkeiten. Die einzigen Ausnahmen sind manische Episoden, die relativ häufig zu beobachten sind. Auch Anpassungsstörungen treten nie auf. Der Beginn liegt meist in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter.

Von dem in der wissenschaftlichen Literatur mittlerweile schon häufig verwendeten Begriff der «Teflon-Matrix» rührt auch die von einem deutschen Forscherinnenteam geprägte und in Diskussionen mit amerikanischen Kolleginnen gemeinsam gebilligte und ausgewählte Bezeichnung «Teflon-Mann». Es handelt sich bei dem Betroffenen um eine entkernte, depersonalisierte Person, deren Unauffälligkeit das eigentlich Auffällige ist. Von einer französischen Kollegin stammt die Präzisierung: «L'homme de Teflon c'est le monde d'aujourd'hui».

Die Kategorie F 60.10: Teflon-Mann

Mindesten fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein, um die Diagnose F 60.10 stellen zu können:

Der Betroffene
  1. ist emotional nicht erregbar, an ihm perlt alles ab;
  2. ist stets bemüht, in Mimik, Gestik, Artikulation und Kleidung nicht weiter aufzufallen;
  3. zeigt ein ausgeprägtes stereotypes Rollenverhalten, insbesondere Frauen gegenüber;
  4. wirkt aufgrund von Punkt 1 bis 3 jederzeit und in allen Kontexten unecht, das heißt gestelzt, künstlich und manieristisch;
  5. folgt in seinem Aussehen und seinen Ansichten in stark ausgeprägter Weise dem aristotelischen Tugendideal «immer die goldene Mitte wählen»;
  6. präsentiert sich permanent als Wesen mit stabilem Selbstbild und ohne Widersprüche;
  7. hat eine ausgeprägte Kontrolle über seine Willkürmotorik einschließlich des Lidschlagreflexes;
  8. ist aufgrund seines überkontrollierten Kontaktverhaltens sozial und kommunikativ ein ausgesprochener Langweiler und schwer zu ertragen;
  9. überprüft alle Äußerungen seiner Diskurspartner und -partnerinnen immer wieder daraufhin, ob sie nicht als zwanghaft, unsicher, histrionisch oder paranoid gewertet werden könnten;
  10. führt innerhalb seiner sozialen Räume immer was im Schilde;
  11. gibt sich als «unangreifbar» aus;
  12. hält sich aus allen beruflichen und privaten Konflikten und Problemen heraus, obwohl er vorgibt, in allen beruflichen und privaten Kontexten den Durchblick zu haben;
  13. hangelt sich gedanklich und fachlich an altertümlichen oder abstrusen Modellen entlang (vgl. die oben skizzierte Nähe zu F 79).
Als prägnantestes Kennzeichen dieser Störung gilt mittlerweile die implizite Beziehungsverweigerung (siehe oben den Punkt 12), was im DSM-IV dazu führen würde, diese Störung auf der Achse II (Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen) anzusiedeln.



Erstellt: 13. September 2001 – letzte Überarbeitung: 13. September 2001
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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