BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Axels Paradoxa-Kabinett (1): Vorfrühling»
von und mit Axel Benno Gandowitz
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Ich werde an dieser Stelle in loser Reihenfolge über Paradoxien berichten. Dabei wird sich mein Augenmerk mehr auf alltägliche Paradoxien richten, also auf die mehr oder weniger vielen Widersprüchlichkeiten, denen wir in unserem Leben entgegensehen. Und es wird sich zeigen, daß die uns begegnenden Paradoxien des Alltags eher Widersprüchlichkeiten, Gegensätzlichkeiten oder aber schlichte Fehleinschätzungen sind. Manchmal allerdings sind sie auch alles drei zusammen.

Doch auch die echten Paradoxien sollen nicht zu kurz kommen. Diese treten überwiegend in streng formalen Systemen auf, weil es oft Fehler innerhalb der Logik von Systemen gibt. Wir können aber auch sagen, daß Fehler in formalen Systemen sozusagen systemimmanent sind. Denn seit Gödel wissen wir, daß formale Systeme immer unvollständig sind. Und ein einfacher Satz, der sich daraus ableiten läßt, lautet: ‹Kein Satz kann sich vollständig selbst beschreiben.› Schauen wir uns ein Beispiel an:

«Dieser Satz ist falsch.»

Stimmt das nun oder stimmt das nicht? Nun, ich habe die Lösung mit Gödels Unvollständigkeitstheorem schon vorweggenommen. Wir sehen, es sind die selbst- bzw. rückbezüglichen Sätze, durch die sich - wie durch Türen - Paradoxien in unseren Alltag schleichen. Der Vollständigkeit halber stelle ich noch den Satz vor, mit dem sich Gödel einst in diesem Kontext abmühte, es war das Russell'sche Paradoxon: ‹Enthält die Menge aller Mengen sich selbst?›

Soviel zur Einleitung, denn in meinem Paradoxa-Kabinett möchte ich nicht die Geschichte ‹entdeckter› Paradoxien schreiben, sondern Geschichten über Paradoxien. Zur ersten hat mich Artus P. Feldmann mit seiner Kolumne vom 17. März 2005 über das ‹Deutsche Wörterbuch› von Jacob und Wilhelm Grimm angeregt. Das Lemma «Frühling» erinnerte mich an ein Gedicht, welches ich vor Jahren einmal geschrieben habe:

Vorfrühling

Sol, nie müde des Kampfes
schickt zu allen Zeiten seine Heerscharen,
und geschützt, hinter der Fensterscheibe
verspüren wir etwas sanftes.
Doch herausgelockt durch fröhliche Helligkeit
erstarren wir in des Frostes Grausamkeit.

In meinem kleinen Gedicht geht es um die Gegensätzlichkeiten ‹kalt› und ‹warm›. Wir sitzen in unserer Wohnung und die Vorfrühlings-Sonne scheint durchs Fenster. Dies erweckt den Anschein, als sei es draußen herrlich warm. Davon berauscht und beglückt ziehen wir ein farbenfrohes T-Shirt an, nehmen unsere Jacke über den Arm und schauen zum Abschied nur kurz auf das Außenthermometer, welches gerade 10°C anzeigt. Hm, denken wir, das ist doch nur eine Zahl - und gehen hinaus, um den Vorfrühling in vivo zu erleben. Tja, das mit der schlichten Zahl war ein Irrtum. Denn es ist - gefühlt - sehr kalt, trotz der strahlenden Sonne.

Neben dieser netten Fehleinschätzung hält der Frühling noch ein anderes Paradoxon für uns bereit, denn es gibt eine Phase, in der wir den Eindruck haben, daß es in der Wohnung kälter sei als draußen. Dieses Phänomen läßt sich vermutlich mit dem Absorptions- bzw. Emissionsverhalten von Schwarzkörpern erklären. Ich schlage aber vor, wir machen es uns etwas leichter und warten einfach nur auf den Sommer.



Erstellt: 28. April 2005 - letzte Überarbeitung: 28. April 2005
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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