BOAG - Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
«Axels Paradoxa-Kabinett (3): Original und Fälschung»
von und mit Axel Benno Gandowitz
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Odysseus kam einst von einer großen und an Schlachten reichen Fahrt zurück und landete in einem Hafen an. Da sein Schiff äußerst mitgenommen war, ging er sogleich zu einem Schiffsbauer und beauftragte ihn, das Schiff wieder seeklar zu machen. Nun, dies scheint uns ein vernünftiges, ja ein ‹ganz normales› Vorgehen zu sein. Bei näherer Betrachtung wird aber schnell klar, daß uns da wieder einige Seltsamkeiten dräuen.

Stellen wir uns vor, das Schiff habe seine Masten verloren. Kein Problem für den Schiffsbauer, die Reparatur wird schnell und einfach vonstatten gehen und Odysseus sein Schiff bald wieder haben. Nun erhöhen wir den Grad der Beschädigungen und nehmen einmal an, nicht nur die Masten, sondern auch alle Aufbauten des Schiffes seien zerstört worden und müssten ausgetauscht werden. Auch das sieht nicht nach einem Problem aus, Odysseus wird sein Schiff bald wieder in neue Abenteuer steuern können.

Nun stellen wir uns die Frage, wie viel von dem Schiff noch übrig sein müßte, um von einer ‹Reparatur› sprechen zu können, und ab welchem Schadensgrad es sich um eine komplette Rekonstruktion handelt? Wo liegt also die Grenze zwischen Original und Nachbau, Original und Kopie, dem Eigentlichen und einer Fälschung? Nun, man könnte sich hier aus der Affäre ziehen, in dem man eine Übereinkunft trifft in der Art, daß man sagt, es müssten so und so viel Prozent des Schiffes erhalten geblieben sein, um von einer Reparatur sprechen zu können.

Stanislaw Lem veröffentliche in den fünfziger Jahren seine ‹Summa technologiae›. Dort geht es - unter anderem - um die Frage, was ein Original und was dessen Kopie ist. Mit dieser Frage, mit diesem Problem haben heute Gruppen zu kämpfen, die sich mit Urheberrechten befassen. Was mich sehr amüsiert, frage ich mich doch, was diese Gruppen in den vergangenen fünfzig Jahren gemacht haben.

Aber ich will nicht spotten, sondern einen Beitrag zu diesem Diskurs leisten. Da wir am Beginn des digitalen Zeitalters stehen, und da digitale Prozesse alle Bereiche unseres Lebens, ob Beruf, Alltag, Kunst oder Kultur, durchdringen werden, betätige ich mich nun als Künstler und schaffe auf meinem Computer ein binäres Kunstwerk:

«010011001»

Ist doch wirklich schön geworden, nicht war? Richtig stolz bin ich auf den kleinen Symmetriebruch der sich durch die ‹Null› am Anfang ergibt. Noch einmal zur Erinnerung:

«010011001».

Nun steht mein Kunstwerk mittlerweile zweimal auf dieser Seite und ich beginne mich zu fragen, welches ist denn nun das Original und welches ist die Kopie. Und mit welcher Begründung ist was was?

Mein Kunstwerk ist rein binär, es ist unabhängig von jeder Leinwand, jedem Träger, aber auch von jedem ‹Ort›. Binäre Kunst ist ortlos. So bleibt uns nur die Erkenntnis, daß es im digitalen Zeitalter keine Unterscheidungsmöglichkeit mehr zwischen ‹Original› und ‹Fälschung› gibt.

Zum Schluß habe ich noch eine Frage an alle diejenigen, die schon einmal ein Buch veröffentlicht haben: Wenn ein Autor sein gerade erschienenes Buch vom Verlag zugeschickt bekommt und zum ersten Mal in den Händen hält, wo ist dann eigentlich das ‹Original-Buch›?

Und nun noch etwas Tröstliches: Wirkliches geistiges Eigentum, sagen wir mal, der Satz der Pythagoras, ist unveräußerlich, unkopierbar, unfälschbar. Wirkliches geistiges Eigentum ist immer ein Original.



Erstellt: 15. Juni 2005 - letzte Überarbeitung: 15. Juni 2005
Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung.
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